Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

54 EIN PRÄTENDENT 
es sei für Sohn und Vater Bismarck kein Glück gewesen, daß Herbert die 
Sukzession seines Vaters angestrebt habe. Stirum fügte hinzu: „Dem 
Fürsten dies auszureden, wäre freilich niemand imstande gewesen außer 
seiner Frau, und die war zu vernarrt in Herbert, um das übers Herz zu 
bringen.“ Es ist bezeichnend für die geniale Unbefangenheit des großen 
Kanzlers, daß er trotz des Wunsches, einmal das Kanzleramt an Herbert zu 
hinterlassen, sich über dessen Fehler und Schwächen keine Illusionen 
machte. Ich habe ihn selbst sagen hören: „Herbert ist mit nuch nicht 
vierzig Jahren unbelehrbar und eingebildeter, als ich es mit über siebzig 
Jahren und nach einigen Erfolgen bin.“ Er sagte auch zu dem Unterstaats- 
sekretär Busch, der die Arbeitskraft des neuen Staatssekretärs Herbert 
Bismarck rühmte: „Sie brauchen ihn mir gar nicht zu loben. Ich würde ihn 
auch zum Staatssekretär gemacht haben, wenn er alle jene Eigenschaften, 
die Sie an ihm preisen, gar nicht besäße, denn ich will neben mir einen 
Mann haben, auf den ich mich absolut verlassen kann und der mir ganz 
bequem ist. In meinem hohen Alter und nachdem ich mich im königlichen 
Dienst verbraucht und verzehrt habe, darf ich das wohl beanspruchen.“ 
Ähnlich äußerte er sich nach seinem Sturz gegenüber dem ihm nahestehen- 
den freikonservativen Abgeordneten Wilhelm von Kardorff. 
Bei den außerordentlich diskreten Dingen, die er im Auswärtigen Amt 
und als Reichskanzler zu behandeln gehabt hätte, wäre es für ihn sehr ver- 
führerisch gewesen, sich im gegebenen Fall keiner anderen Beihilfe als der 
seines Sohnes bedienen zu dürfen. Der Gedanke, Herbert zu seinem Nach- 
folger zu machen, ist bei dem großen Fürsten erst in den allerletzten Jahren 
vor seinem Sturz hervorgetreten. Würde Herbert ein guter Reichskanzler 
für Wilhelm II. gewesen sein ? Bei aller Freundschaft für Herbert kann ich 
diese Frage nicht bejahen. Ich glaube, daß die Verbindung Wilhelm II.- 
Herbert Bismarck gefährlich gewesen wäre. Gewiß besaß Herbert viel 
mehr politische Routine und eine weit größere politische Begabung als 
Caprivi oder gar Beihmann und Michaelis. Aber obwohl an Ernst für die 
Geschäfte, an Fleiß wie an politischem Scharfblick Wilhelm II. überlegen, 
besaß er manche Fehler des letzteren. Er hatte mehr Energie und mehr 
Mut als Wilhelm II., aber er war dafür leichter geneigt, mit dem Kopf durch 
die Wand zu gehen. Er verstand es nicht, vor einem Hindernis abzubiegen, 
er konnte sich nicht wieder fangen, wie der Terminus technicus seines 
Vaters lautete. Er war oft zu heftig, zuweilen eigensinnig, bisweilen brutal. 
Und doch werde ich niemals die Stunde vergessen, wo ich, vorbei an dem 
Balkon des schlichten Hauses im Sachsenwald, von dem Fürst Bismarck 
oft zu seinen Verehrern und über sie weg zur Nation gesprochen hatte, 
vorbei an dem Hirsch, der mit seinem mächtigen Geweih die ihn anfallenden 
Hunde verscheucht, die sterbliche Hülle von Herbert Bismarck zur letzten
	        
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