Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Italien und 
die Kurie 
60 DER GEIST DES DREIBUNDVERTRAGS 
kein österreichisches Übergewicht und namentlich kein aggressives Vorgehen 
der Österreicher gegen Rumänien oder Serbien tolerieren könne. In dieser 
Beziehung müßten beide, Österreich wie Italien, nicht nur dem Buchstaben, 
sondern auch dem Geist des Dreibundvertrages treu bleiben. „Patti 
chiari, lunga amicizia.‘““ Ohne unnötige Emphase, die nicht in seiner Art 
liegt, aber mit ruhiger Bestimmtheit erklärte mir Herr Giolitti, daß Italien 
sich nicht von Frankreich aus dem Dreibund herauslocken lassen werde. 
Es läge im italienischen Interesse, nicht in gespannten Beziehungen zu 
Frankreich zu stehen, wie das in den neunziger Jahren zeitweise der Fall 
gewesen wäre. Auch sei der durch den Besuch des Königs Viktor Emanuel 
in Paris hervorgerufene Gegenbesuch von Loubet in Rom für Italien sehr 
nützlich gewesen, weil dadurch die Frage der weltlichen Herrschaft des 
Papstes ein für allemal aus der Welt geschafft worden wäre. Es habe nur 
eine einzige Macht gegeben, der zuzutrauen gewesen wäre, daß sie das 
Potere temporale wiederherzustellen Neigung empfinden könne. Diese 
Macht sei Frankreich gewesen. Nachdem das französische Staatsoberhaupt 
Rom besucht habe, ohne irgendwelche Notiz vom Papst zu nehmen, sei 
diese Frage erledigt und Rom tatsächlich die Capitale intangibile des Regno 
d’Italia geworden. Das vor allem habe Italien von Frankreich erreichen 
müssen. Die italienische Regierung denke aber nicht daran, die Allianz mit 
Deutschland durch ein Bündnis mit Frankreich zu ersetzen. Das italienische 
Volk, inklusive der vorgeschrittenen Radikalen, sei zu klug, als daß es 
nicht in seiner Mehrheit in dieser Beziehung ebenso dächte wie die Regie- 
rung. König Viktor Emanuel sei von der Notwendigkeit des Zusammen- 
gehens mit Deutschland heute noch mehr durchdrungen als früher. 
Als wir aus dem Walde herauskamen, sahen wir eine Reihe von kleinen 
Dörfern vor uns liegen, in jedem eine hübsche Kirche. Ich machte meinen 
Besucher darauf aufmerksam, daß in dieser Taunus-Gegend Protestanten 
und Katholiken so durcheinandergewürfelt wären, daß häufig neben einem 
evangelischen Dorf ein katholisches liege. Dadurch kamen wir auf das 
Verhältnis der italienischen Regierung zur Kurie. Herr Giolitti war mit 
PiusX. zufrieden, der ein einfacher Landgeistlicher sei. dem politische 
Kombinationen fernlägen. Leo XIII. und Rampolla hätten das Ziel ver- 
folgt, die italienische Monarchie zu beseitigen, um eine italienische födera- 
tive Republik unter französischem Schutz und mit dem Papst an der Spitze 
herzustellen, wie sie schon Napolcon Ill. im Frieden zu Villafranca vor- 
geschwebt habe. Seit dem guten Pius X. sei davon nicht mehr die Rede. 
Natürlich könne der Papst pro foro externo den Prinzipien der römischen 
Kirche nichts vergeben; das verlange auch kein Italiener von ihm. In 
Wirklichkeit suche Pius X., der als patriotischer Italiener fühle, die italie- 
nische Monarchie zu erhalten und zu stützen. Über den damals tobenden
	        
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