Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

76 CAGLIOSTRO 
„Die Socke“. Ich frug bei ihm an, ob ich ihn besuchen dürfe. Er ließ mir 
antworten, daß er mir nach wie vor gut gesinnt wäre, mich aber bäte, von 
einem Besuche abzusehen. Ich erfuhr weiter, daß Bernhard Honig seit 
vielen Jahren den ganzen, in der Alma citta di Roma bekanntlich überaus 
heißen Sommer in der Via Sistina verlebe, die Winter in Deutschland. 
Während der Wintersaison mißfiel ihm Rom, denn die vielen Fremden 
störten ihn. Im Sommer füllte er sich als Herr der amoena Pincii spatia, 
wie es auf dem Obelisk am Pincio heißt, er pflegte die Blumen auf der 
Terrasse seines Hauses, erfreute sich am Gesang der Vögel, die er dort in 
vergoldeten Käfigen unterhielt, und unternahm ab und zu in den kühleren 
Nachtstunden eine Fahrt in die Campagna. Diese Lebensweise sagte ihm 
so sehr zu, daß er jeden Besuch als eine Störung empfand. Ich bin nicht 
abgeneigt, anzunehmen, daß Bernhard Honig zu den wenigen wirklich zu- 
friedenen Menschen gehörte, die mir begegnet sind. 
Die Villa Malta hat nicht nur erlesenen Geistern wie Humboldt und 
Bonstetten ein Asyl geboten, sondern auch Abenteurer beherbergt. 
Cagliostro, der Schatzgräber, Zauberkünstler, Arzt, Rosenkreuzer und Frei- 
maurer, Alchimist und Mystiker, der in Rom zum Tode verurteilt wurde, 
in Paris in der Bastille gesessen hatte, der in die Halsbandgeschichte ver- 
wickelt war und von der Kaiserin Katharina aus Petersburg ausgewiesen 
wurde, der in Warschau den Polen erklärte, er habe eine Lebenstinktur 
erfunden, die die Menschen verjünge, der Großkophta der angeblich von 
ihm wieder hergestellten ägyptischen Freimaurerei, einer der größten 
Schwindler des an Schwindlern so reichen achtzehnten Jahrhunderts, der 
aber doch die Ehre gehabt hat, die Aufmerksamkeit und das Interesse von 
Goethe zu erregen, Cagliostro hat in der Villa Malta eine interessante 
Seance veranstaltet, die in seinem Essay über diesen Hochstapler der Fran- 
zose Marc Haven wie folgt geschildert hat: „Cagliostro hielt im Mai 1789 
in der Villa Malta, damals der Sommerresidenz der Botschafter des Mal- 
teser-Ordens, wiederholt Sitzungen ab. Bei einer dieser Sitzungen, der 
außer dem damaligen Malteser-Botschafter, Bailli Le Tonnelier de Breteuil, 
der französische Botschafter, Kardinal Bernis, die Fürstin Santa Croce, die 
Fürstin Rezzonico und andere Mitglieder der römischen Gesellschaft bei- 
wohnten, ließ Cagliostro ein Kind aus einer Kristallkaraffe voll Wasser die 
Zukunft prophezeien. Das Kind erklärte, in dem Wasser eine Straße zu 
sehen, voll von Menschen, die „‚A bas le Roi!“ und „A Versailles!“ schrien. 
Cagliostro rief hierauf: „Das Kind sagt die Wahrheit. Binnen kurzem wird 
Ludwig XVI. in seinem Palast in Versailles überfallen werden, die Mon- 
archie wird stürzen, die Bastille geschleift werden, auf die Tyrannei wird 
die Freiheit folgen.“ „Oh“, rief der Kardinal Graf Bernis, „welche traurige 
Prophezeiung betreffs meines Königs!“ „Ich bedauere es“, erwiderte
	        
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