Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Der neue 
Gesandte 
in Brüssel: 
v. Flotow 
80 BEUNRUHIGUNG 
sie und ihren Mann gebeten, sich keiner Bitternis hinzugeben. Dieser Rat 
war übrigens kaum nötig, denn beide sind innerlich vornehme und ruhige 
Leute, denen alles Demonstrative fernliegt. Ich selbst weiß, wie ich kaum 
hinzuzufügen brauche, daß Personalfragen lediglich nach sachlichen Ge- 
sichtspunkten entschieden werden können.“ Es war menschlich begreiflich, 
daß ich die Verabschiedung von Wallwitz als eine persönliche Unfreund- 
lichkeit und mehr als dies, als eine Geschmacklosigkeit empfand, denn ich 
wußte natürlich, daß Wallwitz geopfert worden war, um dem intriganten 
Flotow, der mich während der letzten Zeit meiner Amtsführung beständig 
mit seinen persönlichen Ambitionen belästigt hatte, einen ihm zusagenden 
Posten zu verschaffen. Solche persönliche Rücksichtslosigkeit konnte mich 
weiter nicht berühren. Was mich aber beunrubigte, war die in dem Beth- 
mannschen Briefe, der, wie schon die Handschrift zeigte, von dem Geheim- 
rat von l'lotow verfaßt worden war, gebrauchte Wendung von einem beab- 
sichtigten „schärferen Vorgehen‘ gegen Belgien „aus verschiedenen, der 
weiteren internationalen Politik angehörenden Gründen“. Es war damals 
mehr eine unbestimmte Sorge, die durch diese Wendung in mir hervor- 
gerufen wurde. Erst später gelangte ich zu der Gewißheit, daß der ein 
halbes Jahr nach meinem Rücktritt vorgenommene Wechsel in unserer 
Vertretung in Brüssel und der damit verbundene Wechsel in unserer Politik 
gegenüber Belgien eine der Ursachen der Katastrophe von 1914 werden 
sollte. 
Nachdenklich hatte mich bald nach diesem Wechsel eine gelegentliche 
Äußerung des mir seit langem befreundeten italienischen Ministers des 
Äußern, des Marquis San Giuliano, gestimmt, die dahin ging, daß der neue 
deutsche Gesandte in Brüssel, Herr von Flotow, eine seltsame Politik zu 
treiben scheine, „une politique quelque peu mysterieuse“. Er suche An- 
näherung an den französischen und den englischen Gesandten und scheine 
zu hoffen, daß es möglich sein würde, aus Belgien und seinen Kolonien 
„ein neues Polen‘ zu machen, d. h. ein Teilungsobjekt für Deutschland, 
Frankreich und England. Völlige, traurige Gewißheit erhielt ich, als ich 
nach dem Beginn des Weltkrieges im belgischen „Livre gris“‘ den Bericht 
las, in dem der belgische Gesandte in Berlin, Baron Beyens, am 2. April 
1914, vier Monate vor dem Ausbruch des Weltkrieges, nach Brüssel meldete, 
daß der deutsche Staatssekretär des Kolonialamtes, Herr Solf, sowohl dem 
französischen Geschäftsträger wie dem französischen Marine-Attach& aus 
eigenem Antriebe ein deutsch-französisches Abkommen über die von beiden 
Ländern in Afrika projektierten Eisenbahnlinien vorgeschlagen habe. Als 
der französische Botschafter in Berlin, Jules Cambon, nach seiner Rück- 
kehr vom Urlaub den deutschen Staatssekretär des Äußern, Herrn 
von Jagow, gefragt habe, was diese in keiner Weise provozierte Eröffnung
	        
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