Richtlinien
der äußeren
Polisik
84 DER EUROPÄISCHE FRIEDE
sich einem sicheren Tode auszusetzen. Graf Theodor Keller erwiderte:
„Ich will euch zeigen, wie ein russischer General stirbt.“ Er hielt auf seinem
Schimmel so lange neben der Batterie, bis ihn eine feindliche Granate in
Stücke riß. Die Ehe zwischen seiner Witwe und Flotow, der freilich von
seinem Vorgänger in jeder Richtung so verschieden wie nur irgend möglich
war, wurde nicht glücklich. Durch ihren ersten Mann, der ein Mann war,
anderes gewöhnt, behandeite sie ihren zweiten Gatten, auch als dieser
später Botschafter in Rom wurde, nicht gerade freundlich. Während des
Weltkrieges ließ sie sich von ihm scheiden und in den römischen Zeitungen
ankündigen, daß die bisherige deutsche Botschafterin, Frau von Flotow,
nach Trennung ihrer Ehe mit Herrn Hans von Flotow in ihr russisches
Vaterland zurückgekehrt sei und ihren früheren Namen Keller wieder
angenommen habe. Zu ibrer Entschuldigung muß ich sagen, daß sie sich
zu ihrer zweiten Ehe nur zögernd und ungern entschlossen hatte, als Flotow,
nicht abgeschreckt durch alle vorher erhaltenen Körbe, immer wieder um
sie anhielt. Von ihrer Schwägerin, der Gräfin Marie Kleinmichl, gefragt,
wie sie Flotow hätte heiraten können, meinte sie mit russischer Unbefangen-
heit: „Je l’ai &pous® pour me debarrasser de lui. Je m’ennuyais tant avec
ses longues lettres, dans lesquelles il demandait et redemandait ma main.
Je me servirai de lui comme d’un intendant.“ „Wenn der Purpur fällt,
muß der Herzog nach“, ruft bei Schiller „mit fürchterlichem Hohn“ der
alte Verrina dem ins Meer gestürzten Fiesko nach. Als sich Frau von
Flotow von ihrem ungeliebten zweiten Gatten abwandte, ging diesem
nicht nur ihr Geld, sondern auch ihre schöne Villa bei Cannes verloren.
Ich habe schon gesagt, daß ich die politischen Geschäfte des Reichs
meinem Nachfolger nicht ohne Sorge übergeben hatte. Nicht als ob ich
Revolution oder Umsturz befürchtet hätte. Die Wahlen von 1907 hatten
bewiesen, wie starke Kräfte des Widerstandes gegen parteipolitische
Selbstsucht und insbesondere gegen den herostratischen Aberwitz des
doktrinären Marxismus in der deutschen Volksseele schlummerten. Ich
fürchtete, vorausgesetzt, daß wir eine verständige und leidlich geschickte
auswärtige Politik machten, auch keine Störung des europäischen
Friedens. Wenn es gewiß in Rußland wie in England und vor allem
in Frankreich friedensfeindliche, friedenstörende Persönlichkeiten und
Gruppen gab, so überwogen doch ziemlich überall die friedliebenden
Strömungen. Ich war überzeugt, daß, wenn wir gegenüber England hin-
sichtlich des Tempos der Flottenbauten ein verständiges Entgegenkommen
an den Tag legten, England kein Interesse daran haben werde, eine
Weltkatastrophe herbeizuführen. Das entsetzliche Unglück eines Welt-
brandes konnte der Menschheit erspart bleiben. Wir durften uns freilich
den russischen Dardanellenwünschen nicht in den Weg stellen, noch