DIE NATIONALE TRAUERWEIDE 89
gebracht — vielleicht, daß man neben einer nationalen Trauerweide meine
Blumen vermissen wird!“ In dem Artikel hieß es weiter, ich wäre der
Demokratie ein gefährlicher Feind, ein schwer zu besiegender Feind
gewesen, weit gefährlicher als der „honette“ Bethmann, der das Gespenst
der Reaktion „in klapperiger Nacktheit‘ zeige. Aus Bethmanns Reden
und Handlungen wehe ein Duft von Quietismus, ein trüber Zellenduft, vor
dem Fürst Bülow in Rom vermutlich zu den ausgegrabenen Antiken
flüchten würde, um was Menschliches zu sehen. Der Artikel schloß mit den
uns heute prophetisch anmutenden Worten: „Herr von Bethmann Hollweg
wird uns wieder verlassen, wenn das Geschirr, das man ihm in die Ilände
gab, zerbrochen daliegen wird. Oder er wird, um es römischer zu sagen, vom
Tarpejischen Felsen niedersausen, ohne den Lorbeer des Kapitols, der die
Stirn Eurer Durchlaucht ziert.“
Unmittelbar nach der Reichstagsdebatte vom 9. November 1911, bei
welcher der Versuch des Kanzlers Bethmann, seine schwankende und
widerspruchsvolle Behandlung der Marokko-Frage, den Panthersprung
nach Agadir, das demnächstige Kneifen vor den brutalen englischen
Drohungen und endlich den mißlungenen Kongo-Vertrag zu verteidigen,
allerdings völlig fehlgeschlagen war, resümierte in einem aus dem Reichs-
tag an mich gerichteten Schreiben Ernst Bassermann seinen Eindruck
mit den Worten: „Resultat der ganzen Debatte: eine nie dagewesene
Niederlage der Regierung. Ein solcher Zusammenbruch der äußeren und
inneren Politik war noch nicht da.“ Im Frühjahr 1912 klagte er: „Die
Prophezeiung Eurer Durchlaucht ist erfüllt. Der Tag von Philippi ist
erschienen. In der Wilhelmstraße gänzliche Hilflosigkeit und kein Glück,
Alles mißlingt!“ In der Weihnachtszeit 1912: „Eine glück- und freudlose
Politik! Ungeschickter kann schon nicht regiert werden. Es ist das Philippi,
das kommen mußte. Im Osten wächst die polnische Gefahr, die Politik der
Halbheit ist das Schlimmste. Im Westen tanzen die französischen Mäuse
auf allen Tischen.“ Bald nachher, im Februar 1913: „In logischer Folge
schloß sich an Agadir Tripolis und der Balkankrieg. Im Innern hat die
Ungeschicklichkeit und Hölzernheit im Verhandeln ihren Höhepunkt
erreicht. Die Signatur ist überall: Unklarheit und Unsicherheit.“ Und im
März 1914, wenige Monate vor dem Ausbruch des Weltkrieges: „Eine
Planlosigkeit sondergleichen ist Signatur. ‚Sich halten‘ ist das oberste Ziel
Bethmannscher Politik.“ Bassermann hatte sich über Bethmann nie
Illusionen gemacht. Schon am 23. Juni 1909, am Vorabend der Ent-
scheidung über die Erbanfallsteuer, hatte er aus dem Reichstag in einem
nach seinem Ableben veröffentlichten Briefe an seine Gattin geschrieben:
„Was wird werden? Eine traurige Rolle spielt Bethmann. Dieser weich-
herzige Mann, Flaumacher, will vielleicht Kanzler werden.‘ Und ein halbes
Bassermann
über
Bethmann