Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Pessimismus 
bei Aworitäten 
90 ES GEHT NICHT SO WEITER 
Jahr später, wiederum aus dem Reichstag und wieder an seine Frau: „Mein 
Eindruck von Bethmann ist kein besserer geworden. Das ist ein Mann, der 
nicht über der Sache steht, sondern der, kleinmütig, ohne Frische, ohne 
Humor und ohne jede Spur von Genialität, von den Schwierigkeiten 
bedräut und bedrückt wird. Eine Gedankenarmut!! Welch ein Kontrast 
gegen Bülow und seine überlegene Weltanschauung! In welchen Händen 
ist jetzt dieses aufstrebende Reich!“ Die Stimmung bei den Konservativen 
war nicht besser. Graf Mirbach-Sorquitten, ein strammer Konservativer, 
schrieb mir im Frühjahr 1912: „Die derzeitige Situation ist sehr wenig 
erfreulich, hauptsächlich durch die Haltung unseres stets zwischen zwei 
oder mehreren Stühlen sitzenden leitenden Staatsmannes. Mir war er, so 
redlich ich mich auch bemüht habe, ihn objektiv zu beurteilen, stets 
unsympathisch. Es fehlt ihm der Humor und der rasche Entschluß.“ 
Aus Düsseldorf hörte ich Ende 1912, einer der hervorragendsten 
rheinischen Industriellen, Kirdorf, ein schroffer Mann, aber eine un- 
gewöhnliche Intelligenz und ein Charakter, habe der festen Überzeugung 
Ausdruck gegeben, daß, wenn die Dinge so weitergingen wie in den letzten 
drei Jahren, Deutschland nach innen und außen einer Katastrophe 
entgegentreibe. Um dieselbe Zeit, am 30. Dezember 1912, wurde mir sogar 
aus dem Bethmannschen Preßbüro nach einer überaus melancholischen 
Schilderung der Lage und Stimmung in Berlin geschrieben: „In solcher 
Zeit fühle ich und viele andere mit mir doppelt schwer, daß Eure Durch- 
laucht nicht mehr auf der Bühne der Weltgeschichte wirken, sondern nur 
noch im Zuschauerraum.‘‘ Noch mehr beeindruckten mich die Sorgen, mit 
denen selbst Harnack der Bethmannschen Politik gegenüberstand; denn 
der bewegliche und opportunistische Geist des Hoftheologen des Kaisers 
Wilhelm II.war kein atrox animus Catonis, und nichts lag Adolph 
Harnack ferner als Opposition gegen die Machthaber der Stunde, denen er, 
wer und wie sie auch sein mochten, gern sein Antlitz zuwandte wie der 
Helianthus seine Strahlenblüten und Blütenkörbe der Sonne. Er stünde, 
schrieb mir Exzellenz von Harnack nach dem Abschluß des Marokko- 
Kongo-Vertrages, dieser Wendung „mit allergrößten Bedenken“ gegenüber. 
Der für uns so ungünstige Vertrag sei offenbar aus der Meinung heraus 
geschlossen, daß wir fortan Frankreich zum Freunde haben würden. Das 
wäre aber doch ein großer Irrtum, selbst wenn eine zeitweilige Detente die 
Folge sein sollte, denn die Reibungsflächen seien nicht vermindert, sondern 
vermehrt, und an der alten eigentlichen Reibefläche könne kein Gott etwas 
ändern. Adolf Wilbrandt hatte schon wenige Monate nach meinem 
Rücktritt in einem im Januar 1910 an mich gerichteten Briefe gemeint: 
„Die politische Unreife der Deutschen feiert ihre Feste wie immer; aber 
auch das neue Reichsregiment macht mir einen dürftigen, nichtsverheißen-
	        
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