Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

94 HARNACKS ABFALL 
Herzöge der alten Deutschen meines Wissens nur für die Dauer eines 
Feldzuges gewählt worden seien, während wir doch besser an der erblichen 
Monarchie festhielten. Schiemann, beschämt und pikiert, ließ die Ohren 
hängen. Harnack aber näherte sich dem Kaiser mit gefälliger Verbeugung: 
„Euer Majestät, ich muß vor Kaiser und Kanzler ein Geständnis ablegen. 
Seitdem ich das Glück habe, der Schwiegervater eines preußischen Haupt- 
mannces zu sein, bin ich dahintergekommen, daß ein solcher mehr von der 
Welt versteht als alle Professoren zusammen.“ Wilhelm II., naiv und 
leichter zu verführen als die unschuldigste Dorfschöne, schüttelte sich vor 
Lachen. Er schlug mit seiner starken Rechten auf seinen kräftigen Ober- 
schenkel und rief: „Bei Gott, der erste vernünftige Professor, dem ich 
begegnet bin!“ Harnack war der gefährlichere Höfling. Gern hebe ich 
hervor, daß der in Rede stehende Schwiegersohn und Hauptmann bei 
Beginn des Weltkrieges als braver Offizier vor der Front seines Regiments 
in den Tod ging und daß seine Witwe, wie ich höre, in der alten Garnison 
ihres Mannes, in Torgau, dem Glauben ihres Mannes und der Tradition der 
Armee treu blieb, auch als ihr Vater sich nach dem Novemberumsturz auf 
den bequemen „Boden der Tatsachen“ gestellt hatte und ihr Bruder, bis 
dahin ein Kaiserschwärmer wie sein Vater, von heut auf morgen zur 
Sozialdemokratischen Partei übergelaufen war. Der geistvolle Monseigneur 
Duchesne in Rom hat über den Abfall des Vaters Harnack von Wilhelm IT, 
und von der Monarchie nicht unwitzig geäußert: „Mr. Harnack a traite 
l’empereur d’Allemagne comme si celui-ci ne füt qu’un simple Jatho.““ Der 
Kölner Pastor Jatho war ein begeisterter Schüler und Anhänger des 
Theologen Harnack gewesen. Der Meister ließ ihn aber aus Furcht vor der 
streng orthodox gerichteten Kaiserin und ihren Hofdamen im Stiche, als 
sein Jünger in Schwierigkeiten mit dem Konsistorium geriet. Harnack hatte 
uns seinen Besuch angekündigt in einem Brief, in dem es hieß: „Ein grau- 
gestricktes Netz liegt über Deutschland; Sie aber wandeln unter der Sonne! 
Mösge Sie Ihnen stets hell und freundlich, belebend und erwärmend scheinen. 
Speziell wünsche ich noch, daß das deutsche Volk immer sicherer und 
deutlicher erkennen möchte, was es der Führung Eurer Durchlaucht ver- 
dankt. Ich wünsche freilich, daß die Erfahrungen nicht zu bitter sein mögen, 
in denen sich die Nation diese Erkenntnis erwerben muß!“ Derselbe 
Harnack brachte nie den Mut auf, Wilhelm II. zu widersprechen, wenn 
dieser sich vor ihm in Anschuldigungen gegen mich erging, von denen 
niemand besser als Harnack wußte, daß sie ungerecht und unwahr waren. 
Und es kam die Zeit, wo Harnack vor Wilhelm II. die Tiefe und Gründlich- 
keit des Kanzlers Bethmann Hollweg gegenüber der Oberflächlichkeit. 
beinahe Frivolität des Kanzlers Bülow mit beredtem Munde pries, 
Nicht lange nachdem Harnack die Villa Malta verlassen hatte, erschien
	        
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