Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER KAISER UND EUROPA 105 
Reichstagsabgeordneten für Bremen, der, wenn ich nicht irre, Henke hieß. 
Fünf Jahre später machte ich im Uhlenhorster Fährhaus an der Ham- 
burger Außenalster bei einem dem Reichstag gegebenen Fest die Bekannt- 
schaft des Reichstagsabgeordneten Ebert und fand in ihm einen Mann von 
natürlichem Anstand und gesundem Verstand. Nach abermals fünf Jahren 
begegneten wir uns bei dem damaligen Reichskanzler Cuno auf dessen 
Besitz Aumühle bei Hamburg und hatten dort nach Tisch eine längere 
Unterredung über die Not des Vaterlandes. Wiederum und noch mehr 
als ein Quinquennium früher hatte ich den Eindruck, mit einem redlichen 
und tüchtigen Manne zu sprechen. Er hat mich nicht zur Sozialdemokratie 
und Republik bekehrt und dies auch sicherlich weder beabsichtigt noch 
erwartet. Ich halte nach wie vor die Vorbereitung der Revolution während 
des Krieges und die Revolution selbst für ein Verbrechen und für eine 
Dummheit und glaube auch heute, daß sich die republikanische Staats- 
und Regierungsform für kein Volk weniger eignet als für uns. Aber nach- 
dem, beginnend mit Bethmann Hollweg, im Weltkrieg vier Reichskanzler 
nacheinander völlig versagt hatten, nachdem Wilhelm Il. ins Ausland ge- 
flohen und das durch den Genius von Bismarck und die Weisheit des alten 
Wilhelm I. geschaffene Deutsche Reich zusammengebrochen war, betrachte 
ich es als ein Glück im Unglück, daß die Welle der Revolution auf den 
Präsidentenstuhl gerade diesen Mann trug. Er lieferte jedenfalls den Be- 
weis, daß in unserem, ach! so unpolitischen Deutschland der Arbeiter- 
stand starke politische Talente, aller Achtung würdige Charaktere und 
hervorragende Parteiführer zu stellen vermag. 
Aber ich kehre aus der jammervollen Nachkriegszeit wieder in das 
Bremen des Jahres 1913 und zu meinem Freunde Emil Fitger zurück. Sehr 
mißfiel dem verständigen und nüchternen Manne der lärmende Empfang, 
den gerade in diesen Tagen Kaiser Wilhelm II. in Berlin seinem Schwager, 
dem König Konstantin von Griechenland, bereitete. Schon während ich in 
Bremen weilte, hatte mir Fitger nicht die Sorgen verhehlt, die diese neue 
kaiserliche Improvisation ihm bereitete. Nachdem ich Bremen verlassen 
hatte, schrieb er mir: „Der Empfang des Königs Konstantin von Griechen- 
land in Berlin hat in Frankreich und in Athen das unfreundliche Echo ge- 
funden, das er finden mußte; er wird das Gegenteil des beabsichtigten 
Zweckes erreichen. In Deutschland wagt nur die „Kölnische Zeitung“ eine 
schüchterne offiziöse Rechtfertigung. Die meisten beurteilen dagegen das 
Intermezzo scharf. Anscheinend beginnt eine neue Epoche der persönlichen 
Einmischung.‘“‘ Die Inkonsequenz und Inkohärenz Wilhelms II. hatten 
unter Bethmannscher Führung, oder vielmehr Nicht-Führung, Propor- 
tionen angenommen, die dahin führen mußten, daß der Deutsche Kaiser von 
Europa nicht mehr ernst genommen wurde. Demselben König Konstantin, 
Wilhelm II. 
und sein 
Schwager 
Konstantin
	        
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