DER UMGEWORFENE STATUS QUO ANTE 113
Balkankriege sich über die Teilung der Beute in die Haare geraten waren
und die Bulgaren von den Serben und Griechen mit Hilfe der Rumänen zu
Boden geschlagen wurden. Ich hatte leider nur zu recht gehabt, wenn ich
in meinem Brief vom 28. Februar 1913 an Bassermann weiter schrieb, daß
Österreich-Ungarn im Orient vor einer funditus und funditus in pejus ver-
änderten Lage stünde. Daß man das in der Doppelmonarchie begreife, dar-
über hatte mich die Sprache der österreichischen Blätter, darüber hatten
mich Briefe aus Wien wie aus Budapest belehrt, die mich auf eine in Cis-
wie in Transleithanien zunehmende Erregung schließen ließen.
Meine Sorge war, daß Österreich diese unerfreuliche und bedenkliche
Situation durch eine schikanöse Politik gegenüber Serbien noch verschärfen
würde. „Was an Fehlern gegenüber Serbien geleistet werden kann, das voll-
bringt der habsburgische Hochmut“, schrieb mir der in Balkanfragen er-
fahrene Herr vom Rath und fügte hinzu: „Dazu die Verprellung Rumä-
niens! Die Dreibund-Diplomatie hat Bankrott gemacht. Eure Durchlaucht
haben sich in der Balkanfrage und in der Beurteilung der russischen und
der österreichischen Politik einst als Meister, jetzt als Prophet erwiesen.“
Ich selbst hatte bereits am 30. Dezember 1912 aus Rom an Bassermann ge-
schrieben: „Die Schicksalsfrage, die im vorigen Jahrhundert in Italien und
Deutschland an die habsburgische Monarchie herantrat, nähert sich ihr jetzt
vom Osten. Wird man in Wien verstehen, die Südslawen geschickter zu be-
handeln als weiland Deutsche und Italiener? Wird Österreich mit Serbien
besser fertig werden als einst mit Piemont und Preußen ? Gewiß ist Pasitsch
kein Cavour noch Bismarck, Serbien nicht Piemont oder Preußen, aber vor
sechzig Jahren sah es auch nicht aus, als ob Österreich in Deutschland und
Italien die Partie verlieren würde. Wird es gelingen, mit dem Divide et
impera Serben und Rumänen, Bulgaren und Griechen auseinander-
zuhalten? Ganz sicher dürfte das nicht sein, wo nicht einmal die Bildung
des Balkanbundes verhindert wurde, die wegen jahrhundertalter und
tiefgewurzelter Gegensätze noch vor kurzem als eine ganz unwahrschein-
liche Sache erschien und doch zustande gekommen ist. Schade, daß es nicht
gelungen ist, den Status quo ante aufrechtzuerhalten, bei dem wir uns in
jeder Beziehung besser standen und der insbesondere auch für unsere öster-
reichischen Bundesgenossen viel günstiger war. Schade auch um alle von
uns auf die Türkei und unsere Beziehungen zu ihr verwandte Mühe und
Arbeit.‘ Ich fürchtete, daß die habsburgische Monarchie versuchen würde,
ihre zum größten Teil durch ihre eigenen politischen Fehler verdorbene
Stellung auf der Balkanhalbinsel mit den Knochen des pommerschen Gre-
nadiers zu sanieren. Ich fürchtete namentlich und vor allem, daß, wenn eine
solche Versuchung an uns herantreten sollte, romantische, falsch verstan-
dene Ritterlichkeit beim Kaiser, Ungeschick und Einfalt bei meinem Nach-
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Der
Balkanbund