Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Wilhelm II. 
und Bülow 
1909 bis 1914 
114 DER ENTAMTETE 
folger, junkerliche Voreingenommenheit für das „feudale‘“ Österreich bei 
dem kleinen Jagow uns für und durch Österreich in einen Krieg mit Ruß- 
land und damit in den Weltkrieg verstricken könnten. „Ungeschickt ge- 
handhabt können unsere Beziehungen zu Österreich zur belastenden Fessel 
werden“, hatte in seiner Weltgeschichte der Neuzeit der Historiker Dietrich 
Schäfer schon 1912 mit Recht gesagt. 
Wer, wie ich, mehr als ein Dezennium die Politik seines Landes geleitet 
hatte, mußte es oft als Qual empfinden, zu Situationen, die ihm auf Grund 
reiflicher Erfahrungen gefährlich und bedenklich erscheinen mußten, nicht 
Stellung nehmen, nicht mit selbstlosem Rat den leitenden Männern zur 
Seite stehen zu können. Italienische, französische und englische Staats- 
männer stehen nicht unter diesem Druck, da ihre Eigenschaft als Parla- 
mentarier ihnen die Möglichkeit zwanglosen Meinungsaustauschs und steter 
Fühlungnahme mit den augenblicklichen Machthabern gibt. Deutsche 
Staatsmänner dagegen waren, da die frühere Struktur unseres Staatslebens 
sie zu einfachen Pensionsempfängern degradierte, zum Schweigen und, wie 
ich im Hinblick auf die tragischen Jahre 1914 bis 1918 auf Grund schmerz- 
voller persönlicher Erfahrung sagen kann, zum Dulden verurteilt. Wil- 
helm II. nahm einem zurückgetretenen Minister jede selbständige Äuße- 
rung von vornherein übel. Es hing das zusammen mit dem überspannten 
Begriff, den er sich von der Stellung eines Monarchen auch in unserer Zeit 
machte. Er sah in dem „entamteten‘“ Bismarck, der gegen den neuen Kurs 
opponierte, einen Rebellen. Er hat mehr als einmal gesagt, der einzige ihm 
sympatbische Zug an Caprivi sei gewesen, daß der nach seinem Rücktritt 
nie wieder den Mund aufgetan habe. Ich kann mich keines einzigen Falles 
erinnern, wo Kaiser Wilhelm II. einen zurückgetretenen Minister auch nur 
mündlich, im Wege der Konversation, um seine Meinung gefragt hätte. 
Vielleicht hier und da Hollmann, den Vorgänger von Tirpitz, aber auch da 
nur, um den Nachfolger zu ärgern. Überdies war „Hollmännchen‘“‘ mehr 
Spaßmacher als eine ernste Persönlichkeit. 
Ohne Anregung von meiner Seite haben in den fünf Jahren, die zwischen 
meinem Rücktritt und dem Ausbruch des Weltkrieges lagen, besorgte 
Patrioten, die wünschten, daß Wilhelm II. sich nicht für alle Zukunft die 
Möglichkeit verbauen möge, meinen Rat einzuholen, sich bemüht, Seine 
Majestät zum Einlenken mir gegenüber zu bestimmen und ihn wenigstens 
von knabenhaften Ungezogenheiten abzuhalten. Herr von Loebell, mein 
wackerer Chef der Reichskanzlei, der mir auch nach meinem Rücktritt die 
Treue hielt, hat als Minister des Innern insbesondere in den kritischen Tagen 
des Juli 1914, aber schon vorher und später während des ganzen Krieges, 
den Kaiser beschworen, mich um meine Ansicht über die Lage zu fragen, 
stieß aber bei Seiner Majestät stets auf eigensinnigen Widerstand. Auch
	        
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