Bethmanns
Briefe
X. KAPITEL
Politik Bethmann Hollwegs von 1909 bis 1914 - Seine Zurückhaltung gegenüber Bülow
in allen politischen Fragen, Bülow wird während des Quinquenniums 1909/1914 politisch
völlig ausgeschaltet - Ernennung Lichnowskys zum Botschafter in London - Auslän-
dische Politiker zur Lage - Besuch Peter Carps in Rom »- Krupenski » Instruktion Saso-
nows an Krupenski + Kokowzow und Kriwoschein in Rom » Der englische Botschafter
Sir Rennel Rodd »- Das Buch „Deutsche Politik*
ch habe schon erwähnt, daß mein Nachfolger seit meinem Rücktritt es
nicht für nötig hielt, mich zu informieren oder gar meine Meinung einzu-
holen. In den fünf Jahren, die von meinem Rücktritt bis zum Ausbruch des
Weltkrieges vergingen, longum spatium aevi, fünf lange und ereignisreiche
Jahre, in deren Verlauf manches sich verschoben hatte, vieles anders ge-
worden war, neue, zum Teil gefährliche Probleme an uns herangetreten
waren, hat Herr von Bethmann sich mir gegenüber nur in Platitüden und
Gemeinplätzen bewegt, hat er mir nie auch nur ein ernsthaftes Thema zur
Diskussion gestellt. Auch das wenige, was der argwöhnische Mann mit mir
über Politik sprach, wurde in Selbstzufriedenheit und Selbstsicherheit ein-
gewickelt, in lehrhaftem Tone vorgetragen. Es war schwer, ein Lächeln zu
verbergen, wenn der gute Theobald die Realitäten dieser Welt in lang-
atmige, von einem gewissen Unterton der Selbstüberhebung beherrschte
Perioden preßte. Nie hat er in diesen Monologen — er sprach, auch wenn er
nur einen Zuhörer hatte, immer wie vor einem moral- und wißbegierigen
Auditorium — mir gegenüber auch nur angedeutet, was später nach dem
Zusammenbruch seiner Politik zum Leitmotiv seiner Klagen werden sollte,
nämlich daß er eine schwere, ja eine unmögliche außenpolitische Erbschaft
übernommen habe. Die These, die später von seinen Offiziösen verteidigt
wurde, meine Politik habe die Einkreisung Deutschlands herbeigeführt,
hat er mir gegenüber nie vorzubringen gewagt. Er zeigte rich im Gegenteil
mir gegenüber immer von starkmütigem Optimismus und von redlichem
Selbstvertrauen erfüllt.
In seinen gelegentlichen Zuschriften, in denen er übrigens als „in alter
und treuer Verehrung Ihr stets dankbarer Bethmann Hollweg“ sich zu
unterzeichnen nicht ermangelte, beschränkte sich mein Nachfolger auf
akademische Betrachtungen. Er hatte mir vor den Reichstagswahlen 1912