Lichnowsky
Bosschafter in
London
122 DIE SÄULE DES EUROPÄISCHEN FRIEDENS
dürfe. „Wenn ich trotzdem bleibe, so ist es, weil ich tatsächlich für den
Frieden der Welt unentbehrlich geworden bin. Das gilt ganz besonders für
unser Verhältnis zu England. Bismarck war ein großer Mann, aber getraut
hat ihm niemand. Ihr von mir hochverehrter Vetter, der Fürst Bülow, war
sehr klug, sehr geschickt, aber auch ihm traute man nicht. Mir traut man!
Europa traut mir, vor allem traut mir England! Ich kann ohne Überhebung
sagen, ich bin die Säule des europäischen Friedens geworden. Deshalb ist
es meine Pflicht, zu bleiben, so sauer es mir auch manchmal fällt.‘“ Es war
kaum ein Jahr vor dem Ausbruch des Weltkrieges, daß der Reichskanzler
Theobald von Bethmann Hollweg also zu dem Gesandten Hans Adolf
Bülow sprach. Gewiß ein schauerliches Symptom für die politische Un-
zulänglichkeit des fünften Reichskanzlers, aber auch ein Beweis, wie fern
ihm friedenstörende Absichten und hinterlistige Pläne lagen. Der Mann des
Ultimatums an Serbien und der belgischen Invasion war, das kann nicht
oft genug wiederholt werden, nicht der Wolf im Schafspelz, wie unsere
Feinde behaupten; er war das Schaf, das sich im Sommer 1914 als Wolf
drapierte.
Das „stetige Vorwärtskommen mit England“ hatte nicht seinen Aus-
druck in einem Arrangement über das Tempo der Schiffsbauten ge-
funden, das ich bei Wilhelm II. nicht mehr durchsetzen konnte, nachdem
ich bei ihm in Ungnade gefallen war, das aber für meinen Nachfolger wohl
erreichbar gewesen wäre. Herr von Bethmann Hollweg hatte auch leider
die Schwäche gehabt, den Botschafter in London Paul Metternich der
allzu einseitigen Betrachtungsweise des Staatssekretärs Tirpitz und einer
plötzlichen Laune Seiner Majestät zu opfern. Als Nachfolger für London
waren nacheinander der Gesandte in Karlsruhe, Herr von Eisendecher, der
Gesandte in Athen, Freiherr von Wangenheim, und der frühere Botschafter
in Madrid, Ferdinand Stumm, in Frage gekommen. Schließlich wurde
Marschall von Konstantinopel nach London geschickt, der, trotz der von
ihm seinerzeit gebilligten und im Reichstag mit Schärfe vertretenen
Krüger-Depesche, in London mit der aus gutmütiger Neugierde und einem
gewissen Snobismus gemischten Freundlichkeit empfangen wurde, mit der
die Engländer gern neue berühmte Erscheinungen begrüßen, möge es sich
nun um einen italienischen Tenor, eine Pariser Schauspielerin, einen
indischen Nabob oder einen bekannten kontinentalen Staatsmann handeln.
Als der ehrgeizige Marschall, der schon hoffte, über London sein Lebensziel,
das Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße, zu erreichen, bei einem
kurzen Besuch seiner badischen Heimat ebenso plötzlich starb wie vor ihm
Herbert Bismarck und nach ihm Kiderlen, alle drei Opfer der Arbeit wie
des Bacchus, verfiel der Kaiser auf die Idee, den seit acht Jahren aus dem
diplomatischen Dienst ausgeschiedenen Fürsten Lichnowsky nach