Kokowzoro
und
Kriwoschein
128 NIKOLAUS II. GEREIZT
Beurteilung der politischen Lage Wert beimesse. An diesem Prinzip habe
mein Nachfolger Bethmann seit nunmehr fünf Jahren beharrlich festge-
halten. Ich bat den russischen Botschafter aber dringend, mit seinem
deutschen Kollegen, Herrn v. Flotow, zu sprechen und durch ihn auf
Berlin einzuwirken. Als ich Krupenski einige Tage später wiedersah, sagte
er mir: „J’ai lu la lettre de mon chef ä Mr. de Flotow, il a fait la moue
quand je suis arrive ä la fin de la lettre de Sasonow. Il m’a dit qu’il lui etait
impossible de transmettre a Berlin une communication oü on louait d’une
manitre fort exageree le Prince de Bülow au detriment de son successcur,
tandis qu’en r&alite Mr. de Bethmann £tait superieur a Mr. de Bülow.
Avec Mr. de Bethmann et Mr. de Jagow au gouvernail, la politique
allemande €tait dans les meilleures mains possibles et l’Europe, la Russie
y comprise, en toute securite.“
Es war. begreiflich, daß Flotow seinen Chef und seinen intimsten
persönlichen Freund nicht verstimmen wollte, denn es war diesem gelungen,
das Einverständnis des anfangs widerstrebenden Kaisers für Flotows
Ernennung zum Botschafter in Rom zu erreichen, nachdem Jagow an
Stelle des verstorbenen Kiderlen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
geworden war. Beide Wahlen waren, wie sich bald herausstellen sollte,
gleich unglücklich. Unter einem starken Reichskanzler wäre der kleine
Jagow als Gehilfe allenfalls erträglich gewesen. Als Dublette des unent-
schlossenen, schwankenden und ängstlichen Bethmann verstärkte er die
Fehler und Schwächen seines Chefs. Flotow hatte schon als Gesandter in
Brüssel Schaden angerichtet. Er paßte noch weniger nach Italien, wo kleine
Ränkeschmiede rascher erkannt werden als anderswo.
Im gleichen Frühjahr 1914 besuchten mich in Rom zwei alte russische
Freunde, der bisherige Finanzminister und Ministerpräsident Kokowzow
und der Landwirtschaftsminister Kriwoschein. Der erstere sagte mir,
als er bei mir eintrat, mit maliziösem Lächeln, er stelle sich mir vor als das
unschuldige Opfer der Berliner Politik. Nach einem längeren Besuch in
Paris, wo er sich bemüht habe, eine neue Anleihe für Rußland zu erhalten,
habe er Wert darauf gelegt, sich in Berlin zu zeigen, schon um ad oculos zu
demonstrieren, daß, wenn Rußland auch der Allierte von Frankreich sei
und als solcher die Franzosen anpumpe, es doch weit entfernt sei, es mit
Deutschland verderben zu wollen. In Berlin seien ihm von maßgebenden
Stellen die liebenswürdigsten und freundschaftlichsten Versicherungen und
Erklärungen gegeben worden, über die er hocherfreut seinem Souverän
berichtet habe. Als er nun einige Tage später in St. Petersburg eingetroffen
sei und sich bei seinem Monarchen gemeldet habe, seier ungnädig empfangen
worden. Kaiser Nikolaus II. habe ihm in gereiztem Ton und mit bitterem
Ausdruck gesagt: „On vous a jou& a Berlin.“ Während er, Kokowzow, in