Sasonow
130 „EIN HEISSES EISEN“
sich erst herausgestellt, wie diplomatisch fehlerhaft die Übertragung eines
aktiven Kommandos gerade an den Dardanellen an einen deutschen
General gewesen war.
Präsident Poincar& hatte, sobald er von der durch die Entsendung
des Generals Liman von Sanders in Rußland hervorgerufenen Erregung
hörte, dem russischen Botschafter in Paris, Herrn Iswolski, erklärt,
Frankreich sei fest entschlossen, in der Liman-von-Sanders-Angelegen-
heit mit unerschütterlicher Treue zu seinem großen Alliierten zu
stehen. Sollte der Zwischenfall sich zuspitzen, so werde Frankreich
sich nicht den Verpflichtungen entziehen, die das Bündnis mit
Rußland ihm auferlege. Gleichzeitig versicherte der französische Bot-
schafter in St. Petersburg, Herr Delcasse, Herrn Sasonow, Rußland könne
in der Dardanellen-Frage „bis zum Äußersten“ auf französische Unter-
stützung rechnen; die Französische Republik werde da so weit gehen, wie
es der Zar und die russische Regierung wünschten. Als der Zwischenfall
Liman Sanders tant bien que mal beigelegt worden war, sagte der Kaiser
Nikolaus zum Botschafter Delcasse, Rußland brauche das offene Meer
wenigstens im Süden. Deutschlands neuerliche Versuche, Rußland völlig
aus der Türkei zu verdrängen und ihm die Dardanellen zu versperren,
könnten zu einem Zusammenprall zwischen derartigen deutschen Über-
griffen und den russischen Lebensinteressen führen. Er, der Zar, wünsche
den Frieden. Aber Rußland könne sich nicht brüskieren lassen. Die Dar-
danellenfrage hatte während vieler Jahre undnoch beim Rückversicherungs-
vertrag dem Fürsten Bismarck eine wichtige Handhabe geboten, die
Fühlung mit Rußland aufrechtzuhalten. Ich selbst habe während zwölf
Jahren Murawiew wie Lambsdorff, Iswolski und Osten-Sacken, dem Groß-
fürsten und der Großfürstin Wladimir wie dem Hausminister Fredericksz
und dem Grafen Witte, ich habe vor allem dem Kaiser Nikolaus II. nie
einen Zweifel darüber gelassen, daß ich, treu der Bismarckschen Über-
lieferung, an den Meerengen Rußland nicht entgegentreten würde. Ich
habe auch Bethmann in den letzten politischen Unterredungen, die ich nach
seinem Amtsantritt mit ihm hatte, mit Ernst und Nachdruck darauf hin-
gewiesen, daß die Dardanellen-Frage „ein heißes Eisen“ sei. In dem
gleichen Sinne hatte ich bis in die letzte Zeit meiner Amtsführung wieder-
holt und eindringlich mit dem Kaiser Wilhelm II. gesprochen.
Ich muß hinzufügen, daß der russische Minister des Äußern, Sasonow,
selbst nach dem peinlichen Zwischenfall Liman Sanders keinen Bruch mit
Deutschland wollte. Der langjährige Korrespondent des „Temps“ in
Petersburg, Charles Rivet, erzählt in seinem Buch „Le dernier Romanof“,
Sasonow habe, sobald die erste Erregung des russischen Hofes und der
amtlichen russischen Welt über die Übertragung eines aktiven Kommandos