Gedanken
über deutsche
Politik
132 ZWEI GROSSE VÖLKER
Hamburger Gymnasium anvertraut, dann dem Gymnasium in Weimar,
damit er einerseits das sich wirtschaftlich so mächtig entwickelnde Deutsch-
land kennenlerne und andererseits sich mit den Traditionen von Weimar
erfülle, dem, um mit Goethe zu reden, das Los von Bethlehem zuteil wurde,
klein und doch groß zu sein. Als der junge Francis Rodd nach absolviertem
Studium in Deutschland nach Oxford kam, beteiligte er sich dort an der
Gründung eines Klubs, der die auf Grund der Stiftung von Cecil Rhodes in
Oxford studierenden Deutschen mit englischen Studenten vereinen sollte,
die deutsche Sprache und Literatur zu pflegen wünschten. Zum Ehren-
präsidenten ihres Klubs hatten die jungen Leute mich gewählt. Der Bot-
schafter Rodd sagte mir, daß im Sommer der Anglo-German Club eine
größere Feier veranstalten würde, zu der auch eine Reihe bekannte
englische Politiker erscheinen wollten, die früher in Oxford studiert
hätten. Ob ich nicht anläßlich dieses Festes ein Schreiben an den Anglo-
German Club richten wolle, in dem ich dessen Bestrebungen billigte und
ermutigte? Ich erklärte mich hierzu gern bereit und übergab Sir Rennel
Rodd einen schönen Brief, in dem ich die jungen Leute aufforderte, als gute
Deutsche und als gute Engländer sich kennenzulernen, zu vertragen und
sich davon zu überzeugen, daß zwei große Völker wie das englische und das
deutsche allen Grund hätten, in Frieden und Freundschaft zu leben und so
jedes an seinem Teil an der Aufrechterhaltung des Weltfriedens und damit
am Fortschritt der Menschheit mitzuwirken. Als dieser Brief verlesen
werden sollte, standen sich bereits Deutsche und Engländer auf dem
Schlachtfelde gegenüber.
Anfang 1913 hatte eine größere Anzahl leitender Persönlichkeiten des
deutschen öffentlichen Lebens, unter ihnen persönliche Freunde von mir,
sich zusammengefunden, um anläßlich des 25 jährigen Regierungsjubiläums
Kaiser Wilhelms II. wie des Zentenariums der ruhmvollen Erhebung von
1813, hundert Jahre nach der Völkerschlacht von Leipzig, ein Bild der
deutschen Verhältnisse und der Gesamtlage Deutschlands zu geben. Ich
nenne unter ihnen den Chef der Reichskanzlei während der letzten Jahre
meiner Kanzlertätigkeit, späteren Oberpräsidenten von Brandenburg und
Minister des Innern, Friedrich Wilhelm von Loebell, den früheren Minister
des Innern und Finanzminister, damaligen Oberpräsidenten der Rhein-
provinz, Freiherrn von Rheinbaben, den Präsidenten des preußischen Ab-
geordnetenhauses, Grafen Schwerin-Löwitz, den Oberbürgermeister von
Königsberg, Dr. Körte, und endlich den Nationalökonomen Professor
Adolf Wagner.
Die Herausgeber des auf drei stattliche Bände berechneten Werkes
hatten eine Reihe tüchtiger Mitarbeiter gewonnen. Der Bonner Pro-
fessor Zorn sollte über Staat und Verwaltung schreiben, Dr. Körte über