Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

134 NICHT NACHLAUFEN, NICHT BRÜSKIEREN 
all seine Geistesblitze änderten nichts an dem Gang der Ereignisse. Die 
fleiBige Mitarbeit des Reichstagsabgeordneten Posadowsky hinderte und 
besserte nichts. Von Wilhelm II. würde Opposition gegen meine Nachfolger 
als direkte Opposition gegen seine Person aufgefaßt worden sein. Und auch 
wer wie ich den Vultus instantis tyranni in keiner Weise fürchtete, teils aus 
Männerstolz vor Königsthronen, teils weil Wilhelm Il.im Grunde ge- 
nommen gar kein Tyrannus war, mußte sich sagen, daß, was heute auch 
dieser und jener schwatzen möge, die große Mehrheit der Deutschen eine 
solche Opposition entweder gar nicht verstanden oder auf niedrige per- 
sönliche Motive zurückgeführt haben würde. Ich will gern noch einmal 
einräumen, daß in dieser Auffassung eine Schwäche unserer früheren 
Zustände lag. Diese Erkenntnis war einer der Gründe, aus denen ich, 
namentlich in den letzten Jahren meiner Amtszeit, eine Liberalisierung 
und allmähliche Parlamentarisierung unserer Verhältnisse für angezeigt 
hielt. 
In meiner Einleitung zu dem im Verlag von Reimar Hobbing er- 
schienenen Werk „Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.“ beschränkte ich 
mich darauf, auf einige große Gesichtspunkte unserer inneren und 
namentlich unserer auswärtigen Politik hinzuweisen, die unserem un- 
politischen Volk noch nicht klar genug geworden waren. Ich wies auf die 
Unversöhnlichkeit Frankreichs hin. Das letzte Ziel alles französischen 
Strebens werde für sehr lange das sein, die noch fehlenden Voraussetzungen 
für eine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reiche zu 
schaffen. Ich erinnerte an die beste Schilderung des französischen Cha- 
rakters und des französischen Volkes, die je gegeben wurde, an die Worte 
des großen Denkers Alexis de Tocqueville, der von seinem Volke, dem 
kriegerischsten, dem militärischsten und chauvinistischsten Volke der Erde, 
schon vor einem halben Jahrhundert sagte, es sei „apte a tout, mais 
n’excellent que dans la guerre“. Über die Elastizität des französischen 
Volkes, seinen feurigen, zu jedem Opfer bereiten Patriotismus habe ich mir 
ebensowenig je Illusionen gemacht wie über seine unbegrenzte nationale 
Eitelkeit, seine Herrschsucht und Härte. England gegenüber wies ich 
darauf hin, daß eine Politik des Nachlaufens ebenso verfehlt sein würde 
wie eine Politik des Brüskierens. Mit unserer Flottenpolitik seien wir über 
die Gefahrzone hinweg, England würde uns nicht angreifen; wir dürften 
aber nicht selbst durch unsere Politik einen Bruch mit England herbei- 
führen. Über Italien schrieb ich, schon Fürst Bismarck habe gesagt, es 
genüge ihm, daß ein italienischer Korporal mit der italienischen Fahne und 
einem Trommler neben sich die Front gegen Westen und nicht gegen Osten 
nähme. Ich fügte hinzu: „Alles Weitere wird davon abhängen, wie sich eine 
eventuelle Konfliktfrage in Europa gestaltet, mit welchem Nachdruck sie
	        
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