Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EIN NAIVER DIPLOMAT 141 
an Österreich vorbehalten und daß wir Österreich nicht etwa Carte blanche 
für ein militärisches Vorgehen gegen Serbien erteilt hätten. Als am 25. Juli 
der Telegraph meldete, daß der österreichische Gesandte Giesl in Belgrad 
unmittelbar nach Empfang der serbischen Note die Beziehungen der 
Doppelmonarchie zu Serbien abgebrochen und mit seinem Personal Belgrad 
verlassen habe, wurde es mir klar, daß wir vor der ernstesten Kriegsgefahr 
standen, in der wir uns seit dreiundvierzig Jahren befunden hatten, und 
zwar vor der Gefahr eines allgemeinen, eines Weltkrieges. Ich wurde mir mit 
Entsetzen auch darüber klar, daß wir in eine bereits verhängnisvolle Ab- 
hängigkeit von der Politik des leichtfertigen und selbst für österreichische 
Begriffe ungewöhnlich unfähigen Grafen Leopold Berchtold geraten 
waren. 
Als ich am nächsten Tage, dem 26. Juli, auf einem Spazierritt dem in 
Norderney weilenden Grafen Botho Wedel, der damals vortragender Rat 
in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes war, begegnete, drückte 
ich ihm mein Erstaunen aus, daß er bei so gespannter Weltlage nicht auf 
seinen Posten im Auswärtigen Amt zurückkelhre. Er sah mich verwundert 
an, suchte mich aber noch am gleichen Abend mit höflicher Liebenswürdig- 
keit auf, um mir zu sagen: Mit meiner Frage, warum er nicht auf seinen 
Posten in Berlin zurückkehre, hätte ich ihm einen Floh ins Ohr gesetzt. Er 
habe sogleich bei einem Kollegen und Freund in der Politischen Abteilung 
des Auswärtigen Amtes telephonisch angefragt, ob er nach Berlin kommen 
solle. Dieser habe ihm geantwortet, seine Rückkehr sei nicht nötig. Es 
handle sich um blinden Lärm, alles werde sich in Wohlgefallen auflösen. 
Inzwischen stiegen immer mehr und immer dunklere Wolken am Horizont 
auf. Als ich wieder zwei Tage später dem älteren Bruder des Diplomaten 
Botho Wedel, dem Herrenhausmitglied Erhard Wedel, begegnete und ihn 
direkt frug, ob ich träume oder sein Bruder Botho, der noch immer am 
Strande lustwandele, meinte der Gefragte: „Die Sache wird auch mir un- 
heimlich, und ich habe Botho geraten, schleunigst nach Berlin abzureisen.“ 
Am nächsten Tage kehrte denn auch Graf Botho Wedel endlich von Norder- 
ney nach Berlin zurück. Er machte mir vor seiner Abreise einen Abschieds- 
besuch und gab zu, daß er und seine Berliner Freunde und Kollegen den 
Ernst der Situation wohl nicht ganz gewürdigt hätten. Im übrigen könnten 
wir guten Mutes sein: England werde nach dem, was er aus Berlin höre, 
bestimmt neutral bleiben, Italien und Rumänien würden mit uns gehen. 
Dieser helläugige Diplomat ist, nachdem er solche Proben von Perspikazität 
abgelegt hatte, drei Jahre später Botschafter in Wien geworden, wo er sich 
von Kaiser Karl, der Kaiserin Zita, der Herzogin von Parma und der Erz- 
herzogin Maria Josefa in ebenso naiver Weise düpieren ließ, wie er sich 
selbst im Sommer 1914 über die Weltlage getäuscht hatte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.