Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EIN AUFRUF 143 
auf, er habe Hand an sich selbst gelegt. Durch eine kaum begreifliche Kopf- 
losigkeit kam eine solche Meldung auch an mich, den sie natürlich tief 
schmerzte. In diesen bangen Stunden war mir der damalige Prediger an der 
Dreifaltigkeitskirche, Lahusen, mit dem mich langjährige freundschaftliche 
Beziehungen verbanden, ein wahrhaft frommer und dabei milder und fein- 
fühlender Geistlicher, ein Trost und eine Stütze. Später stellte sich die 
völlige Grundlosigkeit jenes Gerüchtes heraus. Der Ordonnanzoffizier 
meines Bruders, Leutnant von Seydlitz, sagte mir, daß er seinen General 
wenige Minuten vor dessen Tode in bester Stimmung auf einer Bank 
sitzend angetroffen hätte. Er habe mit ihm gutmütige Scherze über ein mit 
Honig und Butter bestrichenes Brot gemacht, das ihm eine Bäuerin gegeben 
batte und das er mit gutem Appetit verzehrte. Mein Bruder hatte sich bei 
diesem Anlaß tadelnd darüber ausgesprochen, daß von unseren Truppen 
am Tage vorher eine Anzahl belgische Geistliche im Talar erschossen 
worden wären. Er habe Befehl gegeben, keinen Priester kurzerhand zu er- 
schießen, sondern sie, sofern sie im Verdacht stünden, die Bevölkerung auf- 
zuhetzen, zu genauer Prüfung und eventueller Aburteilung nach Aachen zu 
schicken. Einige Minuten später habe der General ein nicht weit entferntes 
Wäldchen aufgesucht. Man hätte einen Schuß gehört und die Leiche auf 
dem Rücken liegend gefunden, in der Hand einen Revolver, in dem eine 
Patrone fehlte. In demselben Wäldchen wurde zwei Stunden später Leut- 
nant von Seydlitz selbst durch eine von einem Franktireur, der gefaßt 
wurde, von einem Baum aus abgefeuerte Kugel schwer am Fuß verletzt. 
Als die Leiche meines Bruders in Berlin eintraf, habe ich den Sarg öffnen 
und die Schußwunde durch den Direktor der Königlichen Charite, Ge- 
heimen Regierungsrat Pütter, untersuchen lassen. Er meldete mir, daß die 
tödliche Wunde nur von einem Flintenschuß herrühren könne, für eine 
Revolverkugel sei sie viel zu groß. Die Kugel wäre hinter dem linken Ohr 
eingedrungen. Es sei ausgeschlossen, daß sich der General mit dem 
Revolver, den er in der rechten Hand hielt, die tödliche Wunde hinter dem 
linken Ohr hätte beibringen können. Offenbar habe er in dem Augenblick, 
wo der Schuß gefallen war, seinerseits instinktiv gefeuert. Jedenfalls be- 
seitige die sorgfältige Untersuchung der Wunde auch den letzten Schatten 
des Geredes von einem Selbstmord. Ich füge hinzu, daß der General Karl 
Ulrich Bülow ein fröhlicher Mann von heiterer Gemütsart war, mens sana 
in corpore sano, und daß eine schöne Zukunft vor ihm lag. 
Am Tage nachdem ich die Nachricht vom Tode meines Bruders erhalten 
hatte, wandten sich Hamburger Freunde mit der Bitte an mich, in dieser 
entscheidungsvollen Stunde und in so schwerer Zeit durch das Sprachrohr 
des alten Bismarckblattes, durch die „Hamburger Nachrichten“, einen 
Aufruf an Hamburg und über das Weichbild Hamburgs hinaus an unser 
Kundgebung 
Bülows zum 
Kriegsbeginn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.