Audienz im
Schloßhof
146 NACH ROM?
Ich habe Eure Majestät als jungen Prinzen gekannt, und seitdem ist kein
Tag vergangen, wo ich nicht mit wahrer, hingebender Anhänglichkeit Ihrer
gedacht habe, und stets mit dem Wunsch, daß Glück, Segen und Ruhm
Eure Majestät begleiten mögen mitten in allen Gefahren und Schicksalen,
die ein so hoher Herr durchlebt. Das weiß ich sicher, daß keiner sich mehr
freuen wird als ich, wenn Eure Majestät siegreich, ruhmvoll und würdig
Ihrer großen Ahnen, Ihre Feinde besiegen. Eure Majestät, Ihre Majestät
unsere geliebte Kaiserin und die lieben Prinzen sind von unser aller
heißester Liebe und Segenswünschen umgeben. In alter Treue Marie
Bülow.“
Der Kaiser befahl mich für den nächsten Tag nach dem Schloß, wo er
mich im großen Schloßhof empfing. Ich war bis ins Innerste ergriffen,
als ich sein bleiches, erschrockenes, ich möchte sagen verstörtes Antlitz er-
blickte. Er sah erregt und dabei doch abgespannt aus. Die Augen flackerten
unruhig. Er schien mir um zehn Jahre gealtert, seitdem ich ihn fünf Jahre
früher, wenige Monate nach meinem Rücktritt, zum letztenmal im Neuen
Palais gesehen hatte. Er legte mir in freundlicher Weise, nach alter Ge-
wohnheit, seinen Arm um die Schulter und begann mit der Bemerkung,
daß die „fürchterlichen‘ Ereignisse der letzten vierzehn Tage ihn auch
körperlich sehr mitgenommen hätten. Er habe, in Berlin angekommen,
vierundzwanzig Stunden das Bett hüten müssen. „A little nerves rest
cure“, fügte er mit trübem Lächeln hinzu. Er sprach mir sehr herzlich sein
Beileid zum Tode meines Bruders Karl Ulrich aus, dem er stets ein gutes
Andenken bewahren werde als einem hervorragend tüchtigen Offizier. Dann
erzählte er mir, er habe bei Reichskanzler und Staatssekretär des Äußern
angeregt, ob sie mich nicht bitten sollten, die Leitung der deutschen Bot-
schaft in Rom zu übernehmen. „Es ist eigentlich eine starke Zumutung an
Sie, daß Sie als gewesener langjähriger Reichskanzler wieder einen Posten
übernehmen sollen, den Sie schon vor zwanzig Jahren bekleidet haben. Es
ist das so, als ob man einen Feldmarschall bitten wollte, wieder eine Divi-
sion zu führen, Aber ich denke, Sie werden es tun, wenn Sie mir damit einen
Dienst erweisen.“ Ich erklärte mich sofort zu allem bereit. Nicht ohne Ver-
legenheit fuhr der Kaiser fort: „Der Kanzler hat mir erklärt, er müsse dar-
auf bestehen, daß der ihm persönlich nahestehende Herr von Flotow nicht
abberufen werde, sondern, selbst wenn Sie jetzt nach Rom gingen, als Bot-
schafter weiter fungiere. Er hätte aber nichts dagegen, daß auch Sie nach
Rom führen und sich dort Flotow nützlich machten.‘ Ich entgegnete, daB
ich selbstverständlich jede Eigenliebe, die in diesem Falle und in unserer
Lage erbärmlich sein würde, aus dem Spiele ließe. Wenn aber die Führung
der Botschaft nicht in meine Hände gelegt würde, könnte ich unmöglich
helfen. Ein solches Condominium würde nur zu Mißverständnissen und