FALKENHAYN 157
zösischen Volks will gewiß keinen Krieg, und Deutschland braucht diesen
Krieg nicht. In wenigen Jahren wird ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen
den beiden Nachbarn nicht mehr möglich sein. Deutschland braucht sich
nur zu gedulden, braucht nur im Frieden seine wirtschaftliche und finan-
zielle Macht zu steigern, braucht nur die Wirkung seines Geburtenüber-
schusses abzuwarten, um ohne Widerspruch und ohne Kampf in Zentral-
europa zu dominieren.“ Das war eine durchaus zutrefflende Beurteilung der
Lage, eine Auffassung, von der ich selbst während meiner ganzen Amtszeit
geleitet wurde. Unser Interesse war der Friede. Wir hatten bei einem
Krieg, und nun gar bei einem Weltkrieg, viel mehr, schr viel mehr zu
verlieren als zu gewinnen. Der von mir erwälnte Bericht des Baron Beyens
schloß mit einem erneuten Tadel gegen Poincar& und Barthou, die klüger
daran getau hätten, mit größerer Kaltblütigkeit die Frage zu prüfen, ob
es kein besseres Mittel zur Wahrung des Friedens zwischen Frankreich und
Deutschland gäbe als einen solchen Wettbewerb der Rüstungen und eine
derartige Erhöhung der Präsenzstärke, deren Lasten Frankreich nicht so
lange zu ertragen fähig sei wie Deutschland. Unser armes Deutschland
glich, schlecht gesteuert, dem guten Schiff, das nach langer, wechselvoller
Fahrt, unmittelbar bevor es den Hafen erreicht, an einer Klippe scheitert
und untergeht.
Die Sorglosigkeit, mit der Kaiser Wilhelm an dem Gängelband der
Wiener Politik in den Weltkrieg hineinstolperte, war nicht geringer als die
seines Kanzlers und seines Staatssekretärs des Äußern. Am Abend jenes
verhängnisvollen Tages, an dem der Kaiser Österreich volle Unterstützung
für seine abenteuerlichen Pläne gegen Serbien zugesagt hatte, informierte
der hohe Herr den Kriegsminister von Falkenhayn über die österreichische
Demarche und frug ihn, ob das Heer für alle Fälle bereit sei. Falkenhayn
bejahte diese Frage, indem er die Hacken zusammenschlug und die Hand
an den Helm legte, mit einem strammen „Zu Befehl, Eure Majestät!“
Begreiflicherweise erkundigte sich der Kriegsminister gleichzeitig, ob
irgendwelche militärischen Vorbereitungen zu treffen wären. Der Kaiser
lehnte solche Vorbereitungen ausdrücklich ab und wünschte dem Kriegs-
minister einen vergnügten Sommer. Am nächsten Tage empfing er, un-
mittelbar bevor er zum Antritt seiner Nordlandreise, seiner letzten
Nordlandreise, nach Kiel fuhr, die Vertreter des Generalstabs, des Admiral-
stabs und des Reichsmarineamts und teilte ihnen mit, daß Österreich die
Serben wegen des Mordes von Sarajewo zur Rechenschaft ziehen werde.
Größere kriegerische Verwicklungen seien aber nicht zu erwarten. Es
erübrige sich daher, irgendwelche militärischen oder maritimen Vor-
bereitungen zu treffen. — Ich habe soeben Wilhelm II., Bethmann und
Jagow mit harmlosen Kindern verglichen, die im Walde Pilze suchen. Noch
Sorglosigkeit
in Berlin