IM RÜCKBLICK 5
große Herzog und große Sünder hieß, hatte ich vergessen. Das Mausoleum
von Friedrichsruh! Ich habe es auf meinen vielen Fahrten zwischen
Berlin und Hamburg nie erblickt, ohne mich in ernsten Gedanken und zu
ernster Betrachtung zu sammeln. Aber mit tieferer Bewegung habe ich nie
auf diese Grabstätte geblickt als bei meiner Fahrt aus dem Amt und in den
Ruhestand, am 17. Juli 1909.
Ich hatte in den letzten bewegten Wochen meiner Amtszeit keine Zeit
zu ciner ruhigen Aussprache mit meiner Frau gefunden. Ich setzte ihr jetzt
die tieferen Ursachen meines Rücktritts auseinander. Es unterlag keinem
Zweifel, daß die Finanzreform in der von mir in Aussicht genommenen
Gestalt durchgegangen wäre, wenn nicht die latente Gegnerschaft des
Kaisers das Zentrum in seinem Kampf gegen mich, die Konservativen zu
ihrem Abfall von mir ermutigt hätte. Ungleich seinem Großvater und Vater,
hatte Wilhelm II. mehr auf die Stimme seiner in den Novembertagen von
1908 gekränkten Eitelkeit gehört als auf die Staatsräson und die Gebote
politischer Klugheit und Vernunft. Meine Frau, die den ihr stets gütig
gesinnten Kaiser schon im Hause sciner Eltern gekannt hatte und die ihm
herzlich zugetan war, bestärkte mich in dem Entschluß, alles zu unterlassen
und zu vermeiden, was die Krone schädigen könnte. Es wurde mir das durch
die Erwägung erleichtert, daß auch die selbstsüchtige und dabei kleinlich
ungeschickte Taktik der Konservativen große Schuld an der Ablehnung
der Erbschaftssteuer, dem vorzeitigen Zerfall des Blocks und damit an
meinem Rücktritt trüge. Ich begegnete mich mit meiner Frau in dem Ge-
danken, daß vielleicht manches anders gekommen wäre, wenn mir im
letzten kritischen Winter meiner Amtszeit die alten Freunde zur Seite
geblieben wären, die mich verstanden, mutig und treu zu mir hielten und
die inzwischen der Tod abberulen hatte. Mit Richthofen als Staatssekretär
des Äußern wäre eine so leichtfertige und nachlässige Behandlung des
Manuskriptes des „Daily Telegraph“, wie sie sich Schön, Müller und
Klehmet zuschulden kommen ließen, nicht vorgekommen. Der rührige,
weltkundige Franz Arenberg hätte im Zentrum auf eine verständigere
Haltung hingewirkt und jedenfalls die Treibereien eines Matthias Erzberger
nicht aufkommen lassen. Graf Limburg-Stirum als Führer der Konser-
vativen hätte sich schwerlich so vergaloppiert wie der kleinere, engstirnige
Heydebrand und dessen herzlich unbedeutender Famulus Westarp. Der
alte Wilhelm von Kardorfl, der langjährige Vertraute des Bismarckschen
llauses, ein Mann von Feuer und weitem Blick, war als Leiter der Reichs-
partei mir eine bessere Stütze gewesen als sein Nachfulger, der konfuse
und dabei ängstliche Ilatzfeldı-Trachenberg.
Die Türme von Hamburg tauchten auf, die Stadt mit dem Blick auf Ankunft in
das Meer, in die Ferne. Am Bahnhof erwarteten uns Albert Ballin und Jlamburg