BETHMANN BITTET UM SEINEN ABSCHIED 165
geneigtheit gegen jede friedliche Regelung. Würde ein Staatsmann von
Ressourcen und Geschick derart alle Möglichkeiten haben vorübergehen
lassen, die hereinbrechende Katastrophe zu verhüten ? Meine Antwort ist:
Nein! Die deutsche Regierung von 1914 ließ sich vom Strom treiben, ohne
auch nur den Versuch zu machen, durch eine Drehung des Steuers im
letzten Augenblick der drohenden Stromschnelle zu entgehen — und das
stolze Schiff des Deutschen Reiches scheiterte!
Als Kaiser Wilhelm endlich am 27. Juli aus Odde nach Berlin zurück-
kehrte, richtete er an den ihn mit verstörtem Gesicht und in demütiger
Haltung erwartenden Kanzler Bethmann, nur in viel schärferer Form, die
Frage, die ich einige Tage später in höflicher Tonart an meinen Nachfolger
richten sollte: Wie das alles gekommen sei? Der Unmut und die zornige
Erregung des Kaisers waren begreiflich, denn Bethmann hatte Seiner
Majestät bis zuletzt versichert, daß dem Frieden keine Gefahr drolie und
daß er insbesondere mit England in steter Fühlungnahme und in bestem
Einvernehmen stünde. Graf August Eulenburg, der dieser Auseinander-
setzung des Kaisers mit dem Kanzler beiwolhnte, erzählte mir, daß
Bethmann Hollweg ganz zerschmettert dem Kaiser erklärt hätte, er habe
sich allerdings in jeder Richtung getäuscht und bäte um seinen Abschied.
Seine Majestät der Kaiser habe ihm erwidert: „Sie haben mir diese Suppe
eingebrockt, nun sollen Sie sie auch ausfressen!“
So kläglich unsere diplomatische Leitung im Hochsommer 1914 war, so
bewunderungswürdig war die Haltung des deutschen Volkes. Erhobenen
Hauptes, ohne mit der Wimper zu zucken, entschlossen und einmütig ging
die Nation dem Krieg gegen eine Welt von Feinden entgegen. Die eigent-
liche Mobilmachung dauerte nur fünf Tage. Sie ging glatt und tadellos vor
sich. Dann rollten die Aufmarschtransporte gen West und Ost in langer
Folge. Nirgends entstand eine Reibung. Es bedurfte nicht einer einzigen
Rückfrage an den Großen Generalstab in Berlin. Genau zur festgesetzten
Zeit, vierzehn Tage nach Verkündigung der Mobilmachung, standen die
Armeen in ihren Aufmarschräumen. Alles hatte geklappt, um einen
militärischen Ausdruck zu gebrauchen. Wie denn überhaupt unser staat-
licher Organismus, das Räderwerk des staatlichen Mechanismus bei dieser
großen, dieser höchsten Prüfung sich glänzend bewährte. Nur die stra-
tegische Führung versagte, wie die diplomatische versagt hatte. Moltke
versagte, wie Bethmann Hollweg versagt hatte. Und mit beiden versagte
der Kaiser, der es nicht verstanden hatte, an die allerentscheidendsten
Stellen die richtigen Männer zu setzen. Mit Recht lehrte schon vor über
2000 Jahren ein griechischer Philosoph, daß ein Heer von Hirschen, von
einem Löwen geführt, einem Heer von Löwen überlegen wäre, das ein
Hirsch kommandiere. Nie werde ich den Anblick der heldenhaften Jugend
Kaiser und
Kanzler
Die
militärische
Führung