Gespröche
mit Bullin
6 EINE DEUTSCH-ENGLISCHE SEEKONFERENZ?
Felix von Eckardt. Eine große Menschenmenge bot uns ein freundliches
Willkommen. Als wir von unseren beiden Freunden begleitet nach dem
Hotel Atlantic gingen, wo wir abzusteigen pflegten, stand vor der Tür der
kleine Pfordte. Er war ein Wahrzeichen von Hamburg wie die Maus an der
Marienkirche ein Wahrzeichen von Lübeck. Jeder Handwerksbursche, der
nach Lübeck kam, mußte die Maus gesehen haben; und wer Hamburg in
unserer guten Zeit besuchte, mußte Pfordte kennen, denn er repräsentierte
in der deutschen Stadt, in der man am besten aß, die Kunst, der An-
thelme de Brillat-Savarin seine „Physiologie du goüt“ und Karl Friedrich
von Rumohr seinen „Geist der Kochkunst“ gewidmet hat. Wie von dem
Zwerg Perkeo in Scheflels Lied auf das Heidelberger Faß konnte man auch
von Piordte sagen, daß er am Wuchse winzig, am Geiste groß war. Er war
als armer Junge von Wittenberge nach Hamburg gekommen und beschluß
sein Leben als anerkannte Autorität in seinem l’ach. Er setzte uns ein
kleines, aber ausgesuchtes Abendessen vor nach seiner Maxime, daß, wenn
der Mensch anderswo esse, er bei ihm diniere. Um nicht in den Verdacht
der Prahlerei zu geraten, will ich einschalten, daß ich nicht den Anspruch
erheben kann, als Gourmet bezeichnet zu werden. Ich pflege ziemlich.
wahllos zu verspeisen, was mir vorgesetzt wird. Pfordte konnte das nicht
loben, meinte aber tröstend, meine kulinarische Unzuständigkeit tue seiner
politischen Anerkennung für mich keinen Abbruch. Bis spät nach Mitter-
nacht tauschte ich mit den Hamburger Freunden Eindrücke und Gedanken
aus und leider auch Besorgnisse.
Ballin bedauerte vor allem, daß ich verhindert worden wäre, das von mir
in Angriff genommene Abkommen mit England über das Tempo der
Schiffsbauten noch zustande zu bringen. Reich an Auskünften, wie Ballin
war, findig und biegsam, kam ihm ein neuer Gedanke: Tirpitz und Lord
Fisher, der deutsche und der britische Seelöwe, sollten sich im Laufe des
Sommers irgendwo in der Schweiz treffen, in Mürren oder Engelberg, und
trachten, zu einer freundlichen Verständigung zu kommen. Ballin ging,
meines Erachtens mit Recht, davon aus, daß Tirpitz bei seiner nicht immer
glücklichen, aber ausgesprochenen Neigung zu politischer Betätigung nicht
ungern einen diplomatischen Erfolg einheimsen und deshalb, wenn er selbst
die volle und direkte Verantwortung trüge, entgegenkommender sein würde,
als wo er nur zu kritisieren hatte. Ballin nahm an, daß auch der englische
Seelöwe für diplomatische Lorbeeren nicht unempfänglich sein würde.
Ballin hat es sich im Laufe des Sommers 1909 tatsächlich angelegen sein
lassen, die beiden Souveräne für seine Idee zu gewinnen. König Eduard
fand den Vorschlag gut und versprach, auf Lord Fisher im Sinne der
Verständigung einzuwirken. Als Wilhelm Il. am 3. August 1909 von seiner
Nordlandreise zurückkehrte, fuhr Ballin ihm nach Swinemünde entgegen.