MACCHIAVELLI 175
für den Kriegsfall mit einer so ungeheuren Verantwortung verbundenen
Stellung des Chefs des Generalstabs empfinde. Es zeigte sich, welche Ge-
fahren es in sich barg, daß Wilhelm II. Posten, von deren richtiger Be-
setzung Sieg oder Niederlage, Aufstieg oder Untergang, Wohl und Wche
des Reiches abhingen, nach persönlicher Sympathie oder Antipathie zu
besetzen geneigt war. Ein reiner und lauterer Mensch, mit den besten Ab-
sichten, gewissenhaft und pflichttreu, Idcalist durch und durch, gehörte
der Neffe des großen Schlachtendenkers, des Organisators der Siege von
Sadowa und Sedan, in die Reihe jener unglücklichen Feldherren, die von
Mardonios und Varus bis zu Benedek und Trochu das Mitleid aller mensch-
lich Empfindenden erwecken, die aber vor dem Richterstuhl der Geschichte
nicht bestehen.
Als der Rückzug unserer Heere amtlich in der Form zugestanden
wurde, daß wir unseren rechten Flügel „zurückgebogen“ hätten, machte
sich Fürst Wedel, der manche guten militärischen Verbindungen hatte,
keine Illusionen darüber, daß der deutsche Angriffsplan vereitelt worden
war. Ich stimmte mit ihm darin überein, daß damit unser Einmarsch
in Belgien als ein ungeheuerlicher Fehler erscheinen mußte. Es gibt
Aktionen, die nur zu verteidigen sind, wenn sie reüssieren. Dann kann
manchmal das Wort des Macchiavelli zutreffen, daß auch eine schlimme
Handlung nützlich, segensreich und gut erscheine, wenn sie gelinge. Cosa
fatta capo ha! Aber eine zweifelhafte Handlung, die scheitert, ist schwerer
zu rechtfertigen. Als es uns weder gelang, den durch das Ultimatum an
Serbien provozierten Konflikt zu lokalisieren, wie Bethmann und Jagow
dies erwartet hatten, noch mit dem Einmarsch in Belgien den französischen
Widerstand rasch und endgültig zu brechen, lag es auf der Hand, daß wir
uns moralisch ins Unrecht gesetzt hatten, ohne einen entsprechenden
realen politischen Gewinn zu erzielen. „Quand on fait des crasses, il faut
qu’elles r&ussissent‘‘, pflegte meine geistreiche Petersburger Freundin
Missy Durnow zu sagen.
Daß unser Einmarsch in Belgien und damit verbunden die Verletzung
der Souveränität und Neutralität Belgiens und von uns unterzeichneter
und während eines Jahrhunderts von aller Welt respektierter Verträge ein
Schritt von der allergrößten politischen Tragweite war, konnte nicht
zweifelhaft sein. Verschärft wurde dieser Fehler durch die ungeheuerliche
Rede, die Bethmann Hollweg am 4. August 1914 im Reichstag hielt.
Selten oder nie hat ein für die Sicherheit und Zukunft eines großen
Volkes verantwortlicher Staatsmann in einem Augenblick weltgeschicht-
licher Entscheidung eine ungeschicktere, eine unglücklichere, eine unheil-
vollere Rede gehalten. Vor dem eigenen Lande und vor der ganzen Welt
erklärte der deutsche, nicht etwa der französische oder belgische leitende
Belgien und
der deutsche
Angriffsplan