Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

MACCHIAVELLI 175 
für den Kriegsfall mit einer so ungeheuren Verantwortung verbundenen 
Stellung des Chefs des Generalstabs empfinde. Es zeigte sich, welche Ge- 
fahren es in sich barg, daß Wilhelm II. Posten, von deren richtiger Be- 
setzung Sieg oder Niederlage, Aufstieg oder Untergang, Wohl und Wche 
des Reiches abhingen, nach persönlicher Sympathie oder Antipathie zu 
besetzen geneigt war. Ein reiner und lauterer Mensch, mit den besten Ab- 
sichten, gewissenhaft und pflichttreu, Idcalist durch und durch, gehörte 
der Neffe des großen Schlachtendenkers, des Organisators der Siege von 
Sadowa und Sedan, in die Reihe jener unglücklichen Feldherren, die von 
Mardonios und Varus bis zu Benedek und Trochu das Mitleid aller mensch- 
lich Empfindenden erwecken, die aber vor dem Richterstuhl der Geschichte 
nicht bestehen. 
Als der Rückzug unserer Heere amtlich in der Form zugestanden 
wurde, daß wir unseren rechten Flügel „zurückgebogen“ hätten, machte 
sich Fürst Wedel, der manche guten militärischen Verbindungen hatte, 
keine Illusionen darüber, daß der deutsche Angriffsplan vereitelt worden 
war. Ich stimmte mit ihm darin überein, daß damit unser Einmarsch 
in Belgien als ein ungeheuerlicher Fehler erscheinen mußte. Es gibt 
Aktionen, die nur zu verteidigen sind, wenn sie reüssieren. Dann kann 
manchmal das Wort des Macchiavelli zutreffen, daß auch eine schlimme 
Handlung nützlich, segensreich und gut erscheine, wenn sie gelinge. Cosa 
fatta capo ha! Aber eine zweifelhafte Handlung, die scheitert, ist schwerer 
zu rechtfertigen. Als es uns weder gelang, den durch das Ultimatum an 
Serbien provozierten Konflikt zu lokalisieren, wie Bethmann und Jagow 
dies erwartet hatten, noch mit dem Einmarsch in Belgien den französischen 
Widerstand rasch und endgültig zu brechen, lag es auf der Hand, daß wir 
uns moralisch ins Unrecht gesetzt hatten, ohne einen entsprechenden 
realen politischen Gewinn zu erzielen. „Quand on fait des crasses, il faut 
qu’elles r&ussissent‘‘, pflegte meine geistreiche Petersburger Freundin 
Missy Durnow zu sagen. 
Daß unser Einmarsch in Belgien und damit verbunden die Verletzung 
der Souveränität und Neutralität Belgiens und von uns unterzeichneter 
und während eines Jahrhunderts von aller Welt respektierter Verträge ein 
Schritt von der allergrößten politischen Tragweite war, konnte nicht 
zweifelhaft sein. Verschärft wurde dieser Fehler durch die ungeheuerliche 
Rede, die Bethmann Hollweg am 4. August 1914 im Reichstag hielt. 
Selten oder nie hat ein für die Sicherheit und Zukunft eines großen 
Volkes verantwortlicher Staatsmann in einem Augenblick weltgeschicht- 
licher Entscheidung eine ungeschicktere, eine unglücklichere, eine unheil- 
vollere Rede gehalten. Vor dem eigenen Lande und vor der ganzen Welt 
erklärte der deutsche, nicht etwa der französische oder belgische leitende 
Belgien und 
der deutsche 
Angriffsplan
	        
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