Landung in
Norderney
8 DIE SPRÜCHE DES ZELTMACIERS
antrat, zeigt sich rechts, Cuxhaven links, und endlich das Meer, das ewige
Meer, die Thalatta des Xenophon, dessen Hopliten auf dem IRückmarsch
vom Euphrat von den Höhen der Paphlagonischen Berge den Pontus
Euxinus mit Jubelruf begrüßten, das Meer, von dem der einzige deutsche
Dichter unserer Tage, Gerhart Hauptmann, schrieb, daß es seine Wasser-
berge unter den blinden Augen von Jahrmillionen einherwälze, nicht minder
blind als diese Jahrmillionen.
In Cuxhaven wurden wir umgebootet, ein kleiner Dampfer trug uns
von dort nach Norderney. Ich hatte mir als Reiselektüre ein Büchelchen
mitgenommen, das nicht lange vorher der damalige Legationsrat Friedrich
Rosen mir geschenkt hatte. Es nannte sich „Die Sinnsprüche Omars des
Zeltmachers“. Der wackere Zeltmacher Omar Kajjam, der von sich sagt,
er habe nicht die Zelte umherschweifender Ilirten, sondern die Zelte der
Philosophie genäht, hat um die Wende des 11. und 12. Jahrhunderts in der
nordost-persischen Stadt Nischapur gelebt. Rosen, der die Vierzeiler des
persischen Dichters und Philosophen ins Deutsche übertrug, war einer
meiner besten Mitarbeiter im Auswärtigen Amt. Er war in Jerusalem ge-
boren, wo sein Vater in der Bismarckschen Zeit als Konsul gewirkt hatte.
Er selbst war von Jugend auf mit dem Orient wohlvertraut. Er hatte am
Orientalischen Seminar in Berlin Persisch und Hlindostanisch doziert,
war dann Konsul in Beirut, Bagdad und Teheran gewesen. Er hatte einige
Jahre im Hause des Marquis of Dufferin gelebt, der nacheinander englischer
Botschafter in St. Petersburg, Konstantinopel, Rom und Paris, General-
gouverneur von Kanada und endlich Vizekönig von Indien gewesen war.
Rosen hatte Lord Duflerin nach Indien begleitet und dort seinen politischen
Blick geschärft und erweitert und im Verkehr mit einem hervorragenden
Staatsmann die Kunst der Menschenbehandlung gelernt. Er hatte mir
während meiner Amtszeit gute Dienste geleistet, 1905 als Führer einer Ge-
sandtschaft nach Abessinien, wo er einen für uns vorteilhaften Handels-
vertrag abschloß, später in Paris als Unterhändler mit Rouvier vor der
Algeciras-Konferenz, endlich als Gesandter in Tanger. Die Sprüche des
Zeltmachers und Philosophen aus Nischapur hatte Rosen während seiner
Kreuz- und Querzüge, die ihn auf langen Karawanenwegen durch Persien
geführt hatten, im Sattel übersetzt. Rosen hat, wie ich hier erwähnen
möchte, nach meiner Amtszeit als Gesandter in Bukarest, Lissabon und dem
Haag sich wohl bewährt. In Bukarest erfreute er sich vor dem Weltkrieg
des besonderen Wohlwollens des Königs Carol, dem seine Klugheit, seine
große Kultur und seine angenehmen Formen gefielen. In Lissabon leistete
er, was nach dem Ausbruch des Weltkrieges in dieser englischen Sukkursale,
auf verlorenem Posten, im Ilinhalten zu erreichen möglich war. Im Haag
sollte Rosen als Gesandter die Flucht Wilhelms II. nach Holland erleben