Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

BERLINER UND WIENER KABINETT 179 
mittlungsvorschläge wurden a limine abgelehnt, verschleppt oder 
sabotiert. 
Ich wiederhole noch einmal: Nicht als ob die Lenker der deutschen 
Politik den Weltkrieg gewollt hätten, sondern weil sie sich törichterweise 
einbildeten, es werde ihnen gelingen, eine österreichische Strafexpedition 
zur „Züchtigung‘ Serbiens in Szene zu setzen, ohne daß es zu einem 
europäischen Kriege käme. Dadurch wurde nicht nur die Gefahr des von 
Poincar& und Delcasse, von Pal&ologue und Cambon, von den englischen 
Jingoes wie von dem Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch und den monte- 
negrinischen Großfürstinnen gewünschten Weltbrandes gesteigert, sondern 
wir kamen in den unberechtigten und tatsächlich ganz unbegründeten 
Verdacht, den Krieg gewollt und absichtlich herbeigeführt zu haben. 
Während das deutsche Volk ehrlich davon überzeugt war, daß es das Opfer 
eines heimtückischen Überfalls geworden sei, hielt uns die ganze Welt 
für den Brandstifter, der mit dem Ultimatum an Serbien die Fackel in das 
europäische Pulverfaß geschleudert und überdies durch die Verletzung der 
belgischen Neutralität einen unerhörten Bruch beschworener Verträge wie 
des Völkerrechts begangen habe. Während wir nicht für eine zugkräftige 
Parole gesorgt hatten, um (lie öllentliche Meinung der Welt auf unsere 
Seite zu bringen, lieferten wir durch unsere ungeschickte Politik unseren 
Feinden zwei Argumente, mit denen sie die Weltmeinung für sich ge- 
wannen: daß das große Österreich das kleine Serbien überfallen und daß 
Deutschland durch seinen Einmarsch in Belgien das internationale 
Völkerrecht verletzt hätte. Unsere ungeschickte Propaganda tat das übrige. 
Wir leugneten. daß wir den Inhalt des Ultimatums gekannt hätten. Nun 
mußten wir aber selbst zugeben, daß der österreichisch-ungarische Minister 
des Äußern, Graf Berchtold, am 21. Juli vormittags die Note an Serbien 
unserem Botschafter Tschirschky zugestellt hatte. Wenn Tschirschky 
diese Note, deren Tragweite ihm doch nicht einen Augenblick zweifelhaft 
sein konnte, sogleich durch einen seiner Beamten nach Berlin schickte, so 
lag sie am 22. Juli vormittags auf dem Tisch des Reichskanzlers und des 
Staatssekretärs. 
Wir hatten also noch achtzehn Stunden Zeit, die Übergabe des Ulti- 
matums in Belgrad aufzuhalten, die erst am 23. Juli, nachmittagssechs Uhr, 
erfolgte. Wobei zweierlei nicht zu vergessen ist: Erstens, daß das Aus- 
wärtige Amt den Inhalt des Ultimatums in Wirklichkeit schon früher 
kannte, wie dies aus dem bekannten Bericht des bayrischen Geschäfts- 
trägers in Berlin, des Legationsrats von Schön, und aus einer ebenso 
bekannten, gleichzeitigen Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten 
Hertling gegenüber dem französischen Gesandten in München, Herrn 
Allize, hervorgeht. Übrigens ist noch die Frage, was politisch der schlimmere 
12* 
Die Note 
an Serbien
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.