Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DAS SIMILE 181 
blanche gegeben und es in seinem weiteren Vorgehen bestärkt und er- 
muntert hatten, mußte diese um zehn Tage verspätete Warnung wirkungs- 
los verpuffen. 
Es scheint, daß Bethmann der Gedanke vorschwebte, meine Taktik 
während der bosnischen Krisis, die sich fast sechs Jahre vor dem Welt- 
krieg abgespielt hatte, mit dem Ultimatum an Serbien nachzuahmen. 
Nun gibt es aber in der auswärtigen Politik nichts Bedenklicheres, als, um 
mit dem Fürsten Bismarck zu reden, nach einem Simile zu arbeiten, denn 
diplomatische Situationen gleichen sich nie vollständig. Die Umstände, die 
in Frage kommenden Persönlichkeiten, die Stimmungen und Strömungen 
sind immer verschieden. Der Pulizeipräsident, der eine Verordnung für den 
Marktverkehr ausarbeitet, mag nach einem Simile greifen. Wer Politik 
treiben will, muß eigene Gedanken haben. Schon Kiderlen war in den Fehler 
verfallen, mit dem Panthersprung nach Agadir die Politik nachahmen zu 
wollen, mit der ich durch den Kaiserbesuch in Tanger den damals für uns 
und den Weltfrieden gefährlichsten Gegner, Delcasse, für viele Jahre 
mattsetzte. Mit Tanger erreichte ich diesen Zweck. Agadir mißlang. Es 
glich jenem Vorgang, der sich gelegentlich bei Feuerwerken ereignet: Statt 
gerade in die Luft zu steigen, fährt die Rakete den Umstehenden zwischen 
die Beine und richtet Verwirrung und Schaden an. Noch weit verfchlter als 
der Kiderlensche Panthersprung war der Gedanke Bethmanns, wit seiner 
Ultimatumspolitik meine Behandlung der bosnischen Krise zu imitieren. 
Bethmann wollte endlich einmal auch einen politischen Erfolg haben. Wie 
Sasonow im April 1914 mit Recht an den russischen Botschafter in Rom 
geschrieben hatte, lagen aber die Verhältnisse 1914 total anders als 1908, 
sechs Jahre früher. Rußland war 1908 durch eine Reihe von vertraulichen 
Noten und Verabredungen gebunden, insbesondere durch einen Brief seines 
Ministers des Auswärtigen, Iswolski, der eine nicht wegzuleugnende Invite 
an Österreich enthielt. 1908 hatte ich Österreich fest in der Hand und war 
sicher, daß es die ihm von mir gezogene Grenze nicht überschreiten würde. 
Ich verlor weder die Fühlung mit Rußland noch auch die mit Italien. Um 
mich französisch auszudrücken: Je jouais sur le velours. 1914 hatte Beth- 
mann keine anderen Atouts in seinem diplomatischen Spiel als die durch 
die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand erweckte Entrüstung, die 
sich verflüchtigte, als die eigentlichen Motive und wahren Ziele der 
Berchtold und Conrad von Hötzendorf zutage traten und damit die 
Möglichkeit eines Weltbrandes. Si duo faciunt idem, non est idem. Das gilt 
namentlich für die Politik, wo alles fließt. 
Ich weiß wohl, daß die Meinung weit verbreitet ist, der Weltkrieg würde, 
auch wenn er 1914 vermieden worden wäre, 1915 oder 1916 doch gekommen 
sein. Der Weltkrieg wäre ein unentrinnbares Fatum gewesen. Ich halte
	        
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