Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Flotow und 
Barrere 
188 DER SPEISESAAL IN FIUGGI 
Es war verhängnisvoll, daß sowohl Österreich-Ungarn wie Deutschland 
vor Beginn des Weltkrieges in Rom schlecht vertreten waren. Herr von 
Merey hatte sich durch sein kassantes Wesen, seine kaum verhüllte Ab- 
neigung und Gereiztheit gegen das neue Italien, seine beständigen Quen- 
geleien und Nadelstiche allgemein verhaßt gemacht. Sein persönliches Ver- 
hältnis zu dem weltmännischen, kulanten San Giuliano war allmählich so 
gespannt geworden, daß beide sich kaum noch sahen und der italienische 
Minister erwog, ob er die gesellschaftlichen Beziehungen zu dem Vertreter 
der habsburgischen Monarchie nicht besser ganz einstellen solle. 
Der deutsche Botschafter Flotow war zu furchtsam, um aggressiv oder 
gar beleidigend aufzutreten. Dafür hatte er sich weder politisch noch sozial 
eine Stellung gemacht. Mit einer Vollblutrussin verheiratet, die kaum 
Deutsch sprach und in ihrem Salon eine große, übrigens schöne Bronzebüste 
Iwans des Schrecklichen aufstellte, die von biederen deutschen Besuchern 
für das Konterfei des Alarich, Theoderich oder eines anderen Helden der 
germanischen Völkerwanderung gehalten wurde, war der deutsche Bot- 
schafter gesellschaftlich eine halbkomische Figur geworden, ohne pulitischen 
Einfluß. Dazu kam, daß Flotow, der von jeher ein Malade imaginaire war, 
sich nicht entschließen konnte, in der Sommerhitze in Rom auszuharren, 
wie dies 191% die drei Entente-Botschafter Barrere, Sir Rennel Rodd 
und Krupenski als Selbstverständlichkeit betrachteten, sondern nach 
dem ziemlich weit von Rom entfernten Badeort Fiuggi geflüchtet war. 
Gegenüber seinem Busenfreunde Jagow und dem Kauzler Bethmann 
hatte Flotow dies damit motiviert, daß er in Fiuggi die beste Gelegen- 
heit habe, San Giuliano zu sprechen. Die Sache lag gerade umgekehrt. 
Der wirklich kränkliche, ja schwerkranke San Giuliano brachte auf 
ärztlichen Rat zu seiner Erholung Jdie Nächte in Fiuggi zu, wollte aber 
dort von neun Uhr abends bis sieben Uhr morgens nicht gestört werden. 
Jeden Abend versuchte Flotow sich an den für den Minister im Speisesaal 
reservierten Tisch heranzuschlängeln, wurde aber zur Belustigung aller 
Badegäste von San Giuliano regelmäßig abgewiesen mit der Bemerkung, 
er stünde in Rom den ganzen Tag zur Verfügung aller Diplomaten, wolle 
aber in Fiuggi während der Abend- und Nachtstunden in Ruhe gelassen 
werden. Während Flotow sich nicht einmal dazu entschließen konnte, 
in Rom dem Begräbnis des Anfang Oktober verstorbenen San Giuliano 
beizuwohnen, verließ sein gefährlichster Gegenspieler, der Franzose 
Barr&re, Rom auch nicht eine Stunde, machte den ganzen Tag Besuche, 
bearbeitete Senatoren, Deputierte, Minister und Journalisten. Obgleich in- 
folge eines Automobil-Unfalls körperlich schwer leidend, wolınte Barrere 
der Beisetzung von San Giuliano bei. Er wurde während der Trauermesse 
ohnmächtig, aber er tat seine Pflicht.
	        
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