Brief
Bethmanns
194 DAS OPFER
nicht dem Fürsten Bülow allein zumessc. Jedenfalls wären die Konserva-
tiven zu gute Patrioten, als daD sie sich in Lebensfragen der auswärtigen
Politik von innerpolitischen Rankünen leiten ließen: Die Konservativen
wünschten lebhaft und einmütig, daß die Regierung mich nach Rom
schicken möge. Jagow schwieg betreten. Auch der Versuch, den Groll des
Kaisers neu gegen mich zu beleben und dadurch meine Entsendung nach
Rom unmöglich zu machen, hatte keinen Erfolg.
Von Parlamentariern und Militärs, von allen Seiten scharf getrieben,
entschloß sich Bethmann nach langem Zögern, am 30. November 1914
den nachstehenden Brief an mich nach Hamburg zu richten, wo ich im
Hotel Atlantie weilte: „Als wir kurz nach Ausbruch des Krieges die Ver-
hältnisse in Italien miteinander besprachen, erklärten Sie sich im Prinzip
bereit, nach Rom zu gehen und Ihren Einfluß dort zur Geltung zu bringen,
sobald sich eine Gelegenheit zu einer besonderen Mission bieten würde.
Diese Gelegenheit hat sich jetzt geboten. Unser Botschafter, dessen, wie
Sie wissen, an sich nicht starke Gesundheit unter den Aufregungen und
Anstrengungen dieses Sommers noch mehr gelitten hat, hat mir geschrieben,
er müsse mir pflichtgemäß mitteilen, daß die Ärzte zur Wiederberstellung
seiner Kräfte dringend von ihm verlangt hätten, Rom für einige Monate
zu verlassen und sich auszuruhen. Ich sehe selbst ein, daß, so gut Herr von
Flotow unsere Interessen in Italien bisher vertreten hat, demselben mit
einer Ablehnung dieses Gesuches wenig gedient wäre, denn auch das beste
Wollen und die besten Fähigkeiten würden durch dasVersagen der physischen
Kräfte paralysiert werden. Bei der Bedeutung des römischen Postens im
jetzigen Moment könnte natürlich nur eine besonders geeignete Persönlich-
keit für die Vertretung unserer dortigen Interessen in Frage kommen. Daß
Sie, ınein lieber Fürst, infolge Ihrer Stellung in der Welt, Ihrer Lokal-
kenntnisse und langjährigen Beziehungen diese Persönlichkeit sein würden,
brauche ich nicht hervorzubeben. Da ich nun von verschiedenen Seiten
höre, daß Sie auch jetzt noch bereit wären, in patriotischer Hingebung eine
Mission in Italien zu übernehmen, möchte ich nach Einholung der Geuehmi-
gung Seiner Majestät des Kaisers die Bitte an Sie richten, als außerordent-
licher Botschafter nach Rom zu gehen und die Geschäfte unserer dortigen
Botschaft ad interim zu übernehmen. Ich hoffe, daß, abgesehen von der
Arbeit und Mübe, die eine solche Mission auferlegt, das von Ihnen und der
Frau Fürstin zu bringende Opfer im jetzigen Moment auch insofern ein
geringeres sein wird, als ja die Jahreszeit gekommen ist, wu Sie in anderen
Jahren und unter normalen Verhältnissen Ihren Wohnsitz in der schönen
Villa Malta zu nehmen pflegen. Was von Italien überhaupt noch zu er-
reichen ist, werden Sie jedenfalls erreichen! Darf ich Sie bitten, lieber Fürst,
mir telegraphisch Ihre Entscheidung mitteilen zu wollen? Ich würde dann