Bei
Wilhelm II.
im Schloß
Bellevue
XVI. KAPITEL
Audienz bei Kaiser Wilhelm II. » Abschiedsbesuch bei Moltke » Abreise nach Rom « Flo-
tow bleibt in Italien und intrigiert weiter gegen Bülow » Erzbergers Ankunft in Rom,
dessen loyales Verhalten « Aus den Akten der römischen Botschaft + Tätigkeit des
Fürsten in Rom » Briefe aus Deutschland « Stimmung des Kaisers « Die deutsche
Kolonie » Graf Greppi » Ersetzung des österreichisch-ungarischen Botschafters von
Mercy durch den Freiherrn von Macchio
or meiner Abreise empfing mich der Kaiser im Schloß Bellevue. Nicht
Vin innere Bewegung trat ich durch den alten Park in dies Palais, dasso
viel gesehen hat, wo Prinz Louis Ferdinand vor Saalfeld Abschied nahm
von seiner Schwester, der Fürstin Radziwill, und ihr seine Kiuder ans Herz
legte, wo Ernst Moritz Arndt nach Jena die schweigsamsten Wege auf-
suchte, um in schwerer Zeit über die Not des Vaterlandes und dessen”
Rettung nachzusinnen. Hier sollte, vier Jahre später, als das tragische
Schicksal Deutschlands mit dem Scheitern unserer letzten großen Offensive
im Westen sich zu erfüllen begann, Kaiser Wilhelm dem General Luden-
dorff mit harten und barschen Worten den Abschied erteilen. Jetzt war
der Kaiser in zuversichtlicher und gehobener Stimmung. Im freundschaft-
lichsten Tone, als ob zwischen uns niemals Meinungsverschiedenheiten be-
standen oder Friktionen stattgelunden hätten, entwickelte er mir seine Auf-
fassung über die Entstehung des Krieges: Sein Vetter, der König von Eng-
land, und sein Vetter, der Kaiser von Rußland, hätten sich im Mai 1913,
ährend der Hochzeitsfeierlichkeiten anläßlich der Vermählung der Prin-
zessin Viktoria Luise mit dem Herzog von Braunschweig, gegen ihn ver-
schworen. Die Geschichte aller Zeiten kenne keine größere Niedertracht.
Tücke und Verrat im Herzen, hätten die beiden „Vettern und Kollegen“
sein armes Kind zu Gottes Altar geführt. Dafür werde sie Gottes Strafe
treffen. Als er am Tage vor der Hochzeit im Berliner Schloß unvermutet
bei dem König von England eingetreten sei, habe er ilın im T£te-a-tete mit
dem Zaren überrascht. Beide wären erschrocken aufgefahren. Damals
hätten sie die letzten Verabredungen für den Überfall auf Deutschland ge-
troffen. Die Undankbarkeit des Zaren, dem er immer ein treuer Freund
gewesen wäre und dem er so viele vortreffliche Ratschläge erteilt hätte,
schreie zum Himmel. Über das Benehmen von „Georgie“ könne er nur