DIE BLANKOVOLLMACHT 211
gegen Sie gewinnen könnte!“ Erzberger schwieg. Vor Immanuel Kant
und dessen strenger Moral würde er nicht bestehen. Aber kann er sich
nicht auf den Schächer am Kreuz berufen? Hoffentlich hat er schließlich
doch noch ein Plätzchen im Paradies gefunden.
Auch in Rom erhielt ich während des schweren Winters von 1914 auf
1915, wo ich, von Berlin schlecht unterstützt, noch weniger von Wien
sekundiert, gegen viele feindliche und widerwärtige Einflüsse zu kämpfen
hatte, von Moltke ab und zu Briefe, aus denen ebensosehr seine freund-
schaftliche Gesinnung für mich wie sein Patriotismus sprachen. Ich glaube,
daß nur wenige mir so aufrichtig und innig für meine römische Mission Er-
folg wünschten wie Hellmuth Moltke. Solcher Wünsche und Gebete be-
durfte ich in der Tat. Bei meiner ersten Unterredung mit dem Botschaftsrat
Hindenburg verglich ich mich mit dem Arzt, der zu spät an das Kranken-
bett berufen wird. Dieser Vergleich war zutreffend. Wenn im Juli 1914 die
militärische Kooperation Italiens bei geschickter deutscher Politik denkbar
gewesen war, vor dem Marne-Rückzug wenigstens volle und sichere Neu-
tralität, so war jetzt selbst die Neutralität nur zu erreichen, wenn Öster-
reich sofort, rückhaltlos und avec un beau geste den Trentino opferte und
die Autonomie von Triest konzedierte. Aber weder wollten die Öster-
reicher sich zu den unerläßlichen Konzessionen entschließen, noch er-
mannten sich Betımann und Jagow dazu, einen energischen Druck auf das
Wiener Kabinett auszuüben. Nachdem wir ohne Zögern, vorbehaltlos
unsere Zustimmung zu dem Strafverfahren Österreichs gegen Serbien ge-
geben und dem Wiener Kabinett die Wahl der anzuwendenden Mittel über-
lassen hatten, glaubten sich die Österreicher unserer Rückendeckung
absolut sicher und uns gegenüber an keine Rücksicht gebunden. Mit unserer
Blankovollmacht in der Tasche setzten sie sich an den Spieltisch, wo es leider
nicht nur um ihr, sondern auch um unser Geld ging. Wir hatten ihnen ja
von vornherein erlaubt, es gegenüber Serbien bis zum Äußersten, bis zum
Kriege mit allen seinen Konsequenzen zu treiben.
In Rom fand ich bei den Akten einen Brief des Botschaftsrats in Wien,
Prinzen Stolberg, der während einer kurzen Abwesenheit seines Chefs,
des Botschafters von Tschirschky, etwa acht Tage vor der Überreichung
des Ultimatums, Mitte Juli 1914, nach Berlin meldete: er habe in Aus-
führung des ihm erteilten Auftrages den Grafen Berchtold gefragt, ob das
Wiener Kabinett an dem Gedanken festhalte, scharfe Sühneforderungen
für den Mord von Sarajewo an die serbische Regierung zu stellen. Auf die
bejahende Antwort des Ministers habe er auftragsgemäß weiter gefragt,
was geschehen würde, wenn Serbien alle österreichischen Forderungen an-
nähme. Lächelnd (Berchtold wie Jagow liebten zu lächeln) habe der
k. und k. Minister erwidert: er halte es für ausgeschlossen, daß selbst eine
14°
Keine Kon-
zessionen
Österreichs
Brief des
Prinzen
Stolberg