Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

BARRERE BEDECKT DIE AUGEN 219 
Berlin und in Tegel zurücksehnte, stand ich vor den drei Botschaftern der 
Entente: Barr&re, Sir Rennel Rodd und Krupenski. Ihr Verhalten 
mir gegenüber war charakteristisch für den Geist ihrer Völker. Der gute 
Krupenski stürzte auf mich zu und versicherte mir, daß seine persönlichen 
Gefühle der Freundschaft für mich sich in keiner Weise verändert hätten. 
Der kluge und feine Rodd reichte mir die Hand mit den Worten: „I wish 
to shake hands with you and to beg you to give my very best compliments 
to Princess Bülow.‘ Von den drei Ententebotschaftern war Camille Barrere 
mein ältester Freund. Aber als er mich erblickte, hob er beide Arme gen 
Himmel mit dem jedem Franzosen angeborenen schauspielerischen Talent. 
Er sah mich entsetzt an, dann legte er die Hände vor die Augen und wandte 
sich ab. „C’etait la France elle-mäme qui se dressait irr&conciliable devant 
l’ennemi‘, würde ein französischer Zuschauer gesagt haben. 
Mit dem Minister Sidney Sonnino war ich seit vielen Jahren persönlich 
befreundet. In der Levante als Sohn eines italienischen Israeliten und einer Sonnina 
englischen Mutter geboren, vereinigte er britische Zähigkeit, aber auch 
britischen Eigensinn mit jüdischer Verstandesschärfe und Dialektik. Es ist, 
nebenbei gesagt, ein schöner Beweis für die italienische Weitherzigkeit und 
Großzügigkeit, daß niemand in Italien etwas dabei fand, daß in ent- 
scheidendster Stunde die Leitung der italienischen Politik in den Händen 
eines Juden lag, der zwar als Kind zum Christentum übergetreten war, 
aber nicht zum Katholizismus, dem die ungeheure Mehrheit der Italiener 
angehört, sondern zum Protestantismus. Kein italienisches Blatt, nicht 
einmal das Sprachrohr der Kurie, der,, Osservatore romano“, hat je darauf 
hingewiesen, daß der Minister des Äußern sich zu einer Konfession bekannte, 
die in Italien bei fast vierzig Millionen Einwohnern kaum hundertdreißig- 
tausend Anhänger zählt. Noch weniger wurde je die jüdische Abstammung 
des Ministers releviert. Bei meiner Besprechung der Kaiserreise nach Eng- 
land, 1899, habe ich auf die Assimilationskraft hingewiesen, mit der das 
englische Volk fremdartige Bestandteile aufsaugt und dabei an das Wort 
Goethes erinnert, daß die Kraft einer Sprache sich nicht im Abstoßen, 
sondern im Verschlingen zeige. Das gilt auch für das Verhältnis eines Volkes 
zu den innerhalb seiner Grenzen lebenden jüdischen Mitbürgern, die es zu 
assimilieren gilt, nicht abzustoßen. Sonnino hatte sich bei Beginn des 
Krieges für das Zusammengehen Italiens mit den Zentralmächten ein- 
gesetzt. Er wollte vor allem, daß Italien nicht ohne Vergrößerung seines 
Territoriums aus dem Weltkrieg hervorgehe. Es hatte 1866, es hatte auch 
1870 Vorteil aus den Kriegen anderer gezogen, das sollte auch diesmal 
geschehen. 
Neben Sonnino spielte der Ministerpräsident Salandra eine verhältnis- 
mäßig sekundäre Rolle. Er besaß weder die Geistesschärfe, noch den Ernst, Salandra
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.