„UNANNEHMBAR" 231
Symptom hierfür bot der Brief, den Herr von Bethmann Hollweg am
16. März 1915 an mich unter Bezugnahme auf einen Bericht: des Militär-
attachs von Schweinitz richtete, dessen freimütige und klare Art ihm auf
die Nerven gegangen zu sein schien. Er schrieb mir: „Im Begriff, Ihnen zu
schreiben, erhalte ich Ihr interessantes Telegramm über Ihre Unterredung
mit Herrn Sonnino. Leider scheint die Haltung der italienischen Regierung
den Befürchtungen bis zu einem gewissen Grade recht zu geben, die von
österreichischer Seite immer wieder geäußert worden sind, nämlich daß ein
Eingehen auf die italienischen Wünsche immer steigende Forderungen
Italiens zur Folge haben werde. Das Verlangen der sofortigen Mise en effet
des Abtretungsvertrages ist natürlich für Österreich-Ungarn und auch für
uns — ich betone dies ausdrücklich — unannehmbar. Es gibt auch für
die Konzessionen, die wir der in der Geschichte wohl ohne Beispiel da-
stehenden Erpressungspolitik Italiens machen können, eine Grenze, die
nicht ohne schwerste Beeinträchtigung der nationalen Würde und des
internationalen Anschens der beiden im siegreichen Kampfe stehenden
verbündeten Kaisermächte überschritten werden kann. Ich bin mir bewußt,
daß Eure Durchlaucht diesen Standpunkt vollkommen teilen, und ich weiß,
daß Sie Ihre ganze Tatkraft und Ihre durch mehr als ein Menschenalter
bewährte diplomatische Geschicklichkeit daran setzen, um die italienische
Regierung zu einem Verzicht auf ihre Forderungen zu bringen, ohne den,
wie ich nicht verkenne, der Anschluß Italiens an unsere Gegner un-
vermeidlich werden würde. Von hier ist alles Menschenmögliche geschehen,
um das Wiener Kabinett dazu zu bringen, den ursprünglich in der Trentino-
Frage angenommenen und mit großer Zähigkeit festgehaltenen intransi-
genten Standpunkt aufzugeben. Der schließlich erzielte Erfolg beweist die
Richtigkeit und die Zweckmäßigkeit des dabei beobachteten Vorgehens.
Wenn der Erfolg nicht so schnell eintrat, als das im Hinblick auf die po-
litische Gesamtlage wohl wünschenswert gewesen wäre, so sind Ihnen die
Gründe dafür bekannt. Sie lagen in dem bekannten österreichisch-italieni-
schen Gegensatz, der ein Opfer an Italien dem österreichischen Stolz und
Hochmut besonders schwer und schmerzlich macht. Es lag an der gänzlich
verkehrten und irreführenden Berichterstattung des österreichisch-
ungarischen Botschafters in Rom, es lag schließlich an den zu hoch ge-
spannten Erwartungen, die an die militärischen Erfolge der verbündeten
Armeen im Osten geknüpft wurden. Bei dieser Lage der Dinge muß es mich
um so mehr befremden, daß der Militärattache der Botschaft, Major von
Schweinitz, in seiner Berichterstattung über diese Frage eine Kritik an
der Wien gegenüber befolgten Politik zum Ausdruck bringt, über deren
Kompetenz und guten Geschmack ich mich eines Urteils enthalte, die aber
durch Wendungen wie ‚mit etwas mehr Energie‘ oder ‚Berlin est faible*
Bethmann
an Bülow