Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Italien 
kündigt den 
Dreibund- 
Vertrag 
234 EIN LETZTER APPELL 
nötigte am 9. Mai den k.und k. Botschafter, Baron Macchio, in einer 
Unterredung, zu der ich ihn in die Villa Malta einlud, in meiner Gegenwart 
und unter meinem Diktat eine Erklärung zu redigieren, die der italienischen 
Regierung noch am gleichen Tage auf vertraulichem Wege zugeleitet wurde 
und die besagte, Österreich-Ungarn sei bereit, den von Italienern be- 
wohnten Teil Tirols abzutreten, ebenso Gradisca und das westliche Ufer 
des Isonzo, so weit die Bevölkerung rein italienisch sei; Triest solle zur 
Kaiserlichen Freien Stadt gemacht werden mit italienischer Universität 
und italienischer Munizipalität. Österreich anerkenne die italienische 
Souveränität über Valona und erkläre seine eigene politische Uninter- 
essiertheit hinsichtlich Albaniens. 
Es hatte für mich einer starken Pression bedurft, um den ängstlichen 
Macchio endlich zu einem Schritt zu bewegen, der noch im Januar, als das 
„Parecchio“ Giolittis die Situation beherrschte, die gewünschte Wirkung 
gehabt hätte. Aber das bekannte Wort des großen Napoleon, daß Österreich 
stets im Rückstande wäre und daß dort alles „‚trop tard“ erfolge, traf 
wieder einmal zu. Die italienische Regierung hatte sich der Entente gegen- 
über bereits am 24. April 1915 im geheimen gebunden. Sie hatte acht Tage 
später durch Note vom 3. Mai den Dreibund-Vertrag öffentlich gekündigt. 
Der Eindruck der österreichischen Anerbietungen auf die breite Masse des 
italienischen Volkes war nicht unbeträchtlich, aber doch nicht mehr stark 
genug, um eine wirkliche Volksbewegung hervorzurufen, zumal die Kriegs- 
partei mit jedem Tage ihre Anstrengungen verdoppelte und nun auch die 
Straße mobil machte. Es kam hinzu, daß Macchio, nachdem er sich, von 
mir eingeschüchtert und nur unter meinem persönlichen Druck, zur 
Veröffentlichung der genannten österreichischen Konzessionen herbei- 
gelassen hatte, seine Nachgiebigkeit bereute, seinen Schritt als ein Miß- 
verständnis hinstellte und insbesondere betonte, das Einverständnis seiner 
Regierung habe nicht vorgelegen und sei auch inzwischen nicht erfolgt. Die 
ganze Trentino-Frage würde definitiv erst in dem künftigen Friedensvertrag 
geregelt werden. Die Sekretäre der beiden österreichischen Botschaften 
sprachen sich im gleichen Sinne aus, wo immer sich ihnen Gelegenheit bot, 
ihre Weisheit leuchten zu lassen. 
Aus Berlin erhielt ich die Weisung, eine nochmalige Audienz bei König 
Viktor Emanuel nachzusuchen, um ihm ein Schreiben Kaiser Wilhelms II. 
zu überreichen, in welchem ein letzter Appell an seine Bundestreue und seine 
persönliche Freundschaft gerichtet wurde. Ich erbat und erhielt sogleich 
diese Audienz. Der König empfing mich in freundlicher Weise. Er war in 
ruhiger, aber offenbar ganz entschlossener Stimmung. Es unterlag keinem 
Zweifel, daß er die Schiffe hinter sich verbrannt hatte. Er meinte, es gebe 
Situationen, wo ein konstitutioneller Monarch nicht gegen die wohl-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.