Abreise
Bülows
236 ABSCHIED VON ROM
einem österreichischen Diplomaten vermählten Tochter, doppelt leide. Sie
riet ihrem Schwiegersohn, seine Koffer gar nicht erst auszupacken. Ich
konnte Graf Nemes nur empfehlen, dem Rat seiner Frau Schwiegermutter
zu folgen.
Der Abgeordnete Erzberger hatte mich nicht nur in Rom durch seine
Verbindungen mit dem Vatikan in meinen auf die Erhaltung des Friedens
gerichteten Bemühungen wacker unterstützt, sondern auch in seinen Be-
richten nach Berlin meine Wünsche vertreten und meine Bemühungen des
höchsten Lobes gewürdigt. Seine Absichten waren die besten, aber seine
politische Urteilslosigkeit trat auch hier zutage. Auch er wollte nicht an die
Möglichkeit des Krieges glauben. Trotz meiner Abmahnung schrieb er nach
Berlin, ich hätte den Frieden gerettet, alles sei in bester Ordnung. Als er
wenige Tage vor der italienischen Kriegserklärung München passierte,
suchte er die dort wohnende Mutter meines ausgezeichneten Mitarbeiters,
des Legationsrats von Stockhammern, auf. Wie ein Wirbelwind fuhr er in
das Empfangszimmer der Generalin. „Ich bringe Ihnen Grüße von Ihrem
Sohn. In zwei Tagen wird er selbst hier sein. Er hat mitgeholfen, den
Frieden zu erhalten, der jetzt völlig gesichert ist.“ Als die kluge alte Dame
vierundzwanzig Stunden später in den „Münchener Neuesten Nachrichten“
die italienische Kriegserklärung an Österreich las, schrieb sie ihrem Sohn:
„Daß ein so konfuser Mensch wie dieser aufgeregte Schwabe jetzt eine große
Rolle in Berlin spielen kann, macht mich ganz tiefsinnig.“
Am 25. Mai verließ ich Rom mit dem Personal der kaiserlichen Bot-
schaft. Alle Geheimakten hatte ich schon vierzehn Tage früher durch Feld-
Jäger nach Berlin geschickt. Meine Abreise erfolgte ohne jeden Zwischenfall.
Die Leute, die um die Villa Malta herumstanden und in den Straßen, durch
die ich nach dem Bahnhof fuhr, grüßten mich in der höflichsten Weise.
Eine Stunde vor meiner Abreise hatte ich Abschied von meiner Schwieger-
mutter genommen, die ich nicht wiedersehen sollte, deren großes Herz auf
der Höhe ihres glänzenden Geistes stand und die mir eine zweite Mutter
‘geworden war. Auch von meinem Schwager, dem Fürsten Paolo Campo-
reale, nahm ich für dieses Leben Abschied. Er starb, wie meine Schwieger-
mutter, im Laufe des Krieges. Er war das einzige Mitglied des italienischen
Parlaments, das gegen den Krieg stimmte.
Ich verließ Italien mit tiefem Schmerz darüber, daß es mir nicht ge-
lungen war, den Krieg zwischen Italien und den Zentralmächten zu
verhiudern, Ich sah rückschauend mit voller Klarheit, daß die Situation,
die im Dezember bei größerer Energie und, ich muß leider hinzufügen,
bei größerer Loyalität von seiten Berlins noch zu retten war, durch
das Hinundherschwanken Bethmanns, Berchtolds und Burians und die
Taktik Jagows und Flotows in die Brüche hatte gehen müssen. Wie bei