Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Bei Bethmann 
240 EIN ABENDESSEN 
rock empfangen hätte. Mit den Quasten des Schlafrockes spielend, habe er 
ihm gegenüber sein damaliges Regierungsprogramm in die Worte zu- 
sammengefaßt: „In der inneren Politik bin ich Royalist bis in die Knochen, 
Wenn es sein muß), gelıe ich für den König in die Vendee und fechte für ihn 
mit den altmärkischen Bauern. In der auswärtigen Politik werde ich auch 
vor revolutionären Mitteln nicht zurückschrecken. Flecters si nequeo 
superos, Acheronta movebo.“ 
Ich hätte diese meine Niederschrift über die gewaltigen und für Deutsch- 
land unglücksschwangeren Ereignisse, die während meiner römischen 
Mission an mir vorüberzogen, nicht mit der Schilderung unterirdischer In- 
trigen und der Wiedergabe unwürdiger Klatschereien beschwert, wenn es 
sich nur um meine Person handeln würde. Aber diese Umtriebe waren nur 
Symptome eines Übels, das tiefer saß, Symptome einer Verrottung der Ge- 
sinnung, die in den Amtsstuben der Berliner Wilhelmstraße um sich fraß 
und die erbärmlichen Interessen kleinlichen Strebertums vor die Sache des 
Landes stellte, und das zu ciner Zeit, wo an den Fronten Offiziere und 
Soldaten zu Tausenden und Tausenden ihr Leben heldenmütig in die 
Schanze schlugen. 
Am Abend meiner Ankunft in Berlin folgte ich einer Einladung des 
Kanzlers Bethmann zum Abendessen. Herr von Bethmann dankte mir mit 
großem Pathos, fast überschwenglich, für meine „hingebenden Bemühun- 
gen‘. Jagow, der neben meiner Frau saß, sagte ihr, er begriffe nicht, wie 
ich Österreich zur Abtretung des Trentino habe raten können. Als meine 
Frau erwiderte, ich sei wohl überzeugt gewesen, daß durch rechtzeitige 
österreichische Konzessionen der Ausbruch des Krieges zwischen Italien 
und Deutschland zu verhindern gewesen wäre, meinte Herr von Jagow: 
„Sie vergessen, daß die Abtretung des Trentino dem ehrwürdigen Kaiser 
Franz Josef, Seiner Apostolischen Majestät, dem ältesten Souverän in 
Europa, das Herz gebrochen haben würde. Sie vergessen, daß Österreich 
der letzte Hort konservativer Prinzipien und wahrhaft vornehmer Tradi- 
tionen ist, Italien aber ein demokratisches und revolutionäres Gebilde.“ 
Nach Tisch näherte sich mir Herr von Jagow, den ich bis dahin nicht be- 
achtet hatte, in krummer Haltung und mit einem verlegenen Gesicht, aus 
dem ein sehr schlechtes Gewissen sprach. Ich drehte ihm vor allen An- 
wesenden den Rücken. Ich gestehe, daß ich selten innerlich eine größere 
Befriedigung empfunden habe. Einem unerfreulichen Menschen die Emp- 
findungen, die er in uns erweckt, auch äußerlich zu erkennen zu geben, ist 
ein erlesener Genuß. Am nächsten Tage suchte Herr von Jagow meinen 
Freund, den Fürsten Karl Wedel, unter dem er einige Jahre als Sekretär 
gedient hatte, mit der Bitte auf, für ihn bei mir ein gutes Wort einzulegen. 
Er wisse wohl, was er mir zu verdanken habe, nämlich seine ganze Karriere.
	        
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