Bei Bethmann
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rock empfangen hätte. Mit den Quasten des Schlafrockes spielend, habe er
ihm gegenüber sein damaliges Regierungsprogramm in die Worte zu-
sammengefaßt: „In der inneren Politik bin ich Royalist bis in die Knochen,
Wenn es sein muß), gelıe ich für den König in die Vendee und fechte für ihn
mit den altmärkischen Bauern. In der auswärtigen Politik werde ich auch
vor revolutionären Mitteln nicht zurückschrecken. Flecters si nequeo
superos, Acheronta movebo.“
Ich hätte diese meine Niederschrift über die gewaltigen und für Deutsch-
land unglücksschwangeren Ereignisse, die während meiner römischen
Mission an mir vorüberzogen, nicht mit der Schilderung unterirdischer In-
trigen und der Wiedergabe unwürdiger Klatschereien beschwert, wenn es
sich nur um meine Person handeln würde. Aber diese Umtriebe waren nur
Symptome eines Übels, das tiefer saß, Symptome einer Verrottung der Ge-
sinnung, die in den Amtsstuben der Berliner Wilhelmstraße um sich fraß
und die erbärmlichen Interessen kleinlichen Strebertums vor die Sache des
Landes stellte, und das zu ciner Zeit, wo an den Fronten Offiziere und
Soldaten zu Tausenden und Tausenden ihr Leben heldenmütig in die
Schanze schlugen.
Am Abend meiner Ankunft in Berlin folgte ich einer Einladung des
Kanzlers Bethmann zum Abendessen. Herr von Bethmann dankte mir mit
großem Pathos, fast überschwenglich, für meine „hingebenden Bemühun-
gen‘. Jagow, der neben meiner Frau saß, sagte ihr, er begriffe nicht, wie
ich Österreich zur Abtretung des Trentino habe raten können. Als meine
Frau erwiderte, ich sei wohl überzeugt gewesen, daß durch rechtzeitige
österreichische Konzessionen der Ausbruch des Krieges zwischen Italien
und Deutschland zu verhindern gewesen wäre, meinte Herr von Jagow:
„Sie vergessen, daß die Abtretung des Trentino dem ehrwürdigen Kaiser
Franz Josef, Seiner Apostolischen Majestät, dem ältesten Souverän in
Europa, das Herz gebrochen haben würde. Sie vergessen, daß Österreich
der letzte Hort konservativer Prinzipien und wahrhaft vornehmer Tradi-
tionen ist, Italien aber ein demokratisches und revolutionäres Gebilde.“
Nach Tisch näherte sich mir Herr von Jagow, den ich bis dahin nicht be-
achtet hatte, in krummer Haltung und mit einem verlegenen Gesicht, aus
dem ein sehr schlechtes Gewissen sprach. Ich drehte ihm vor allen An-
wesenden den Rücken. Ich gestehe, daß ich selten innerlich eine größere
Befriedigung empfunden habe. Einem unerfreulichen Menschen die Emp-
findungen, die er in uns erweckt, auch äußerlich zu erkennen zu geben, ist
ein erlesener Genuß. Am nächsten Tage suchte Herr von Jagow meinen
Freund, den Fürsten Karl Wedel, unter dem er einige Jahre als Sekretär
gedient hatte, mit der Bitte auf, für ihn bei mir ein gutes Wort einzulegen.
Er wisse wohl, was er mir zu verdanken habe, nämlich seine ganze Karriere.