DIE UNGEBROCHENE FRONTSTELLUNG 245
von Potsdam, Ihrer Reise nach Rußland, dem Kongo-Vertrag mit Frank-
reich und den projektierten Abmachungen mit England ihren Ausdruck
fänden und günstige Aspekte für die Zukunft eröffneten. Die Ursache des
furchtbaren Krieges, der inzwischen ausgebrochen ist, liegt zum Teil natür-
lich weit zurück. Der englisch-deutsche Gegensatz mußte sich verschärfen,
seitdem unsere Industrie und unser Handel sich in früher nicht geahnter
Weise entfaltet hatten, seitdem wir zur See gegangen waren und namentlich
seitdem wir uns eine Flotte bauten. Das deutsch-russische Verhältnis war
seit der ersten großen Orientkrisis, die zum Berliner Kongreß und zur Zu-
spitzung der Gegensätze zwischen Österreich-Ungarn und Rußland führte,
mancher schwierigen Belastungsprobe unterzogen worden, und vollends der
deutsch-französische Gegensatz ließ sich seit dem Frankfurter Frieden und
der Annexion von Elsaß-Lothringen nicht mehr aus der Welt bringen. Mit
diesem Schwergewicht belastet, hat die deutsche Politik trotzdem während
langer Jahre den Frieden zu wahren vermocht. Die Frage, ob es not-
wendig war, mit dieser Politik zu brechen, wird sich schwerlich für immer
ausschalten lassen. Ich stimme mit Ihnen aber ganz darin überein, daß
gegenwärtig unser Sinnen und Denken ganz auf den Sieg gerichtet sein muß
und auf einen Frieden, würdig so heroischer Anstrengungen und würdig der
ungeheuren Opfer, die unser Volk mit bewunderungswürdiger Hingebung
bringt. Seien Sie versichert, daß hiervon niemand mehr durchdrungen ist
als ich und daß, so weit für mich die Gelegenheit geboten wird, von meiner
Seite alles geschieht, um dieses Ziel zu erreichen.“
Auf dieses Schreiben erhielt ich umgehend von Bethmann die nach-
stehende Duplik: „Eurer Durchlaucht Schreiben vom 12. d. Mta., das ich
gestern erhielt und für dessen eingehende Ausführungen ich meinen auf-
richtigen Dank ausspreche, bestärkt mich in der Gewißheit, daß in dem,
was sich mir gegenwärtig als der Kernpunkt darstellt, unsere Ansichten
kaum auseinandergehen. Auch Sie wünschen, wie ich es tue, daß die ein-
mütige Hingabe der Nation durch die uns Deutschen so tief im Blut
steckende Neigung zur Kritik nicht in einem Zeitpunkt geschwächt werde,
der eine ungebrochene Frontstellung unser aller erfordert, und ich kann nur
meinen wärmsten Dank dafür aussprechen, daß Eure Durchlaucht in
vollem Einklang mit der Stellung, die Sie seit dem Jahre 1909 im nationalen
Interesse unter persönlichen Opfern eingenommen haben, auch Ihrerseits
allen auf dieses Ziel gerichteten Bestrebungen Ihre tätige Unterstützung
leihen wollen. Ihr in aufrichtiger Verehrung treu ergebener von Bethmann
Hollweg.“
Als ich diesen Briefwechsel mit meinem Nachfolger meinem Freunde
Albert Ballin vertraulich mitteilte, erwiderte mir der kluge Mann: „Ich bitte
um die Erlaubnis, Eurer Durchlaucht in der Anlage die Briefe zurückreichen
Bethmanns
Duplik