Gespräche
mit Bethmann
260 DEFAITISTEN IN FRANKREICH
Gesetzentwurf ein, der „die defaitistische Friedenspropaganda‘“ mit den
schärfsten Strafen bedrohte. Der Leiter des friedensfreundlichen, sozia-
listischen „Bonnet rouge‘“, Almereyda, wurde verhaftet und einige
Tage später tot im Gefängnis vorgefunden. Wahrscheinlich ist er er-
drosselt worden. Der französische Minister des Innero, Malvy, der von
Clemenceau beschuldigt wurde, der Friedenspropaganda nicht scharf
genug entgegenzutreten, wurde verbannt. Der ehemalige Außenminister
und Ministerpräsident Caillaux wurde als Flaumacher eingesperrt und
fürchtete längere Zeit nicht ohne Grund für sein Leben. Bolo Pascha, ein
in Ägypten zu Vermögen gelangter Bankier, der Bruder eines höheren
Prälaten, ein Mann in angesehener Stellung, wurde verhaftet, weil (übrigens
mit Unrecht) ihm nachgesagt wurde, er hätte, von Deutschland bestochen,
für den Frieden gewirkt. Unter begeistertem Jubel der Zuhörer wurde er
vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt und vierundzwanzig Stunden
später in Vincennes erschossen.
Als Herr von Bethmann den Kaiser zum Erlaß der Österbotschaft
bewog, sagte mir Albert Ballin: „Der Kanzler Bethmann kommt mir vor
wie ein Kaufmann, der weiß, daß er bankrott ist, der aber seinen Zu-
sammenbruch nicht eingestehen will und deshalb, um nach außen hin noch
einige Wochen in der alten Weise auftreten zu können, ein Depot angreift.“
Ich habe, wenn ich von Flottbek oder auch von einem Besuch bei meiner
Frau in Luzern nach Berlin zurückkehrte, regelmäßig Bethmann aufgesucht.
Er wußte, daß ich ebenso wie dem Kaiser auch ihm, dem Kanzler, zu jeder
Zeit und für jede Frage zur Verfügung stand, hat aber meinen Rat niemals
in Anspruch genommen. Seinen Ausführungen, ich sollte eigentlich sagen,
seinen Vorträgen, über die Lage war zu entnehmen, daß er immer noch auf
ein Einlenken Englands hoffte. „Die Engländer werden doch die ersten
sein, die uns kommen!“ So hat er mehr als einmal zu mir gesprochen. Ich
verhehlte ihm nicht meine abweichenden Ansichten. „Ich glaube“, sagte
ich ihm, „daß bei richtig geleiteter Politik der Friede mit England
aufrechtzuerhalten war. Aber nachdem England in den Krieg mit uns ein-
getreten ist, wird es nicht von heut auf morgen locker lassen. Der Engländer
ist wie sein Bulldog.“
Der arme Bethmann konnte es nicht lassen, von Zeit zu Zeit An-
deutungen über die „schwere politische Erbschaft‘ zu machen, die er
bei seiner Geschäftsübernahme angetreten habe. Ich ließ solche Ge-
schichtsklitterung natürlich nicht durch. Ich sagte ihm, es sei vielleicht
bequem, aber dilettantisch und ungerecht, die Folgen selbstbegangener
Fehler dem Vorgünger zuzuschieben. „Habe ich als Staatssekretär und
Reichskanzler gegenüber den Schwierigkeiten, denen auch ich zu begegnen
hatte, mich auf Fehler meiner Vorgänger, zum Beispiel das durch die