Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER ERBE BETHMANN 261 
Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages herbeigeführte russisch- 
französische Bündnis, oder auf die Krüger-Depesche oder den ostasiatischen 
Dreibund ausgeredet ? Ich trachtete, to make the best of it, mich mit der 
gegebenen Lage so gut als möglich abzufinden. Übrigens ist, wenn ich nicht 
irre, vor einiger Zeit von Ihnen, mein lieber Bethmann, in einem an die 
Presse gerichteten Zirkular darauf hingewiesen worden, daß die auswärtige 
Politik von Seiner Majestät geführt werde und daß somit eine Kritik der- 
selben sich gegen die Allerhöchste Person richten würde. Ob diese Auf- 
fassung an und für sich nicht ihre Bedenken hat, steht dahin. Jedenfalls 
darf sie nicht zum Schutze eines einzigen Reichskanzlers angerufen werden. 
Vor allem aber kann ich die sachliche Berechtigung Ihrer Rekriminationen 
hinsichtlich der von Ihnen angetretenen Erbschaft in keiner Weise zu- 
geben. Mit dieser Erbschaft und dank dieser Erbschaft haben Sie doch noch 
volle fünf Jahre — und fünf Jahre, mein lieber Betlımann, sind auch im 
Leben der Nationen ein gewisser Zeitraum — gute Beziehungen zu Rußland 
unterhalten können, die in der Potsdamer Begegnung und in Ihrer Reise 
nach Petersburg und Moskau zutage traten und von Ihnen laut gerühmt 
wurden. Sie haben mir nach dem Abschluß des Marokko-Kongo-Vertrages 
eine bis zur Möglichkeit einer Entenie gehende Besserung der deutsch- 
französischen Bezichungen angekündigt, und mit England verhandelten 
wir unmittlbar vor dem Ausbruch des Krieges über zwei wichtige Fragen: 
die Bagdadbahn und die portugiesischen Kolonien. Die in Aussicht 
genommenen Verträge, für welche ich die Grundlage geschaffen hatte, 
standen Ende Juli 1914 vor ihrer Ratifizierung. Die Besserung unserer 
Beziehungen zu den Westmächten ist gerade in den letzten Jahren vor dem 
Kriege von Ihnen mit Emphase proklamiert worden.‘ Bethmann schwieg 
und machte ein zwar pikiertes, aber mindestens ebenso verlegenes Gesicht, 
als ich ihn, nach wie vorim freundlichen Tone eines wohlmeinenden Gönners, 
ersuchte, bei der Rechnungsablegung über den Krieg das eigene Konto nicht 
dadurch zu entlasten, daß er die Konten anderer Leute zu Unrecht belaste. 
Sein Gesicht hellte sich 'wieder auf, als ich ihm sagte, ich hielte es leider 
nicht für ausgeschlossen, daß England sich zur Annahme der allgemeinen 
Wehrpflicht entschließen würde. Er betrachtete mich mit einem fast teil- 
nahmsvollen Blick, in dem ich den Gedanken las: „Der gute Fürst fängt 
an recht alt zu werden, er vertrottelt.‘“ Dann zu mir gewandt: „Aber mein 
hochverehrter Fürst, haben Sie nie Jdie englische Geschichte Ihres Ham- 
burger Landsmanns Johann Martin Lappenberg gelesen? Macaulay? Die 
grundlegenden Schriften von Gneist? Niemals wird sich das englische Volk 
unter das Joch der allgemeinen Wehrpflicht beugen.“ 
Ernsthafte Schweizer Finanzkreise, auch Vertreter der Kurie, die 
während des Krieges in der Schweiz residierten, hatten damals schon
	        
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