264 EIN UNGLÜCKSMANN
sollten oder nicht, auf des Messers Schneide stand, frühstückte ich mit
Albert Ballin im Berliner Hotel Continental. Ballin wurde während
unseres Frühstücks herausgerufen und kam erst nach einer Viertelstunde
wieder, mit sorgenvollem Gesicht. „Nun ist der verschärfte U-Boot-Krieg
doch beschlossen worden. Er ist zu spät beschlossen worden. Wenn man
den U-Buot-Krieg wollte, so hätte er früher eingesetzt werden müssen.
Dann hätte man auch Tirpitz behalten sollen. Jetzt hat England zwei
Jahre Zeit gehabt, durch Bewaffnung fast aller seiner Dampfer, durch
U-Boot-Jäger und U-Boot-Fallen, Motorboote, Flieger, Luft- und Horch-
schiffe, mit Wasser-Bomben und -Minen seine Abwehr zu organisieren.“
Ich frug Ballin, ob Bethmann unter solchen Umständen, nachdem er seit
Jahr und Tag den U-Bont-Krieg bekämpft hatte, im Amte bleiben würde.
Die Antwort lautete: „Denken Sie, der Unglücksmann bleibt! Er hat mir
soeben sagen lassen, im Interesse des Vaterlandes müsse er weiter aus-
harren.‘“* Herr von Bethmann hat selten oder nie soviel Willenskraft an
den Tag gelegt, wie er im Sommer 1917 im Haften am Amt bewies. Ich
muß zugeben, daß sich der Kaiser nur sehr ungern von ihm trennte,
nicht allein weil ihm eingeredet worden war, daß Betlimann, einzig Beth-
mann ihn vor Umsturz, Revolution und Abdankung retten könne, sondern
auch in dem Gefühl, einen ihm so unterwürfigen Kanzler nicht leicht
wieder zu finden.
In der Kronratssitzung, in der die preußische Wahlrechtsreform
Der Kampf beraten wurde, begründeten Anhänger und Gegner derselben ihren Stand-
um Bethmann nunkt in längeren Vorträgen. Der Kaiser war so entzückt von den Reden
seiner Minister, daß er laut ausrief: „Ich wußte gar nicht, daß ich so kluge
Minister habe!“ Am verständigsten sprach der Minister des Innern, Staats-
minister von Loebell, der die Wahlrechtsreform als einen ernsten und
schweren Schritt bezeichnete, der aber, alles wohl erwogen, notwendig
geworden sei. Nur möge diese Maßregel nicht von den müden und ver-
brauchten Händen des gegenwärtigen Ministerpräsidenten Bethmann
durchgeführt werden. Der junge, feurige Wein dürfe nicht in alte Schläuche
gefüllt werden. Ich bemerke ausdrücklich, daß Herr von Loebell seine
Stellungnahme in der Kronratssitzung in keiner Weise mit mir verabredet
oder auch nur vorher mit mir besprochen hatte und daß er ganz aus eigener
Initiative handelte und sprach. Er hat mir den Verlauf der Kronratssitzung
erst später erzählt. Nach der Aufhebung des Kronrats herrschte die Meinung
vor, daß Herr von Bethmann die Partie gewonnen habe. Er selbst nahm im
Laufe des Tages die Glückwünsche seiner Freunde entgegen und drückte
den ilım weniger wohlgesinnten Kollegen, insbesondere Herrn von Luoebell,
sein Bedauern aus, sich von ihnen trennen zu müssen.
Wer hat schließlich den Anstoß zur endlichen Beseitigung Bethmanns