Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

SUCHE NACH DEM SECHSTEN KANZLER 273 
Regierung gehabt habe!“ Wilbelm II. machte sogar den Versuch, Michaelis 
wenigstens als preußischen Ministerpräsidenten zu behalten, stieß damit 
aber auf so allseitigen Widerspruch, daß er den Gedanken aufgab. Aber 
wer sollte nun an die Stelle des Dr. Georg Michaelis treten, den die „Times“ 
nach seiner Ernennung mit einem Artikel begrüßt hatte, in dem es etwa 
bieß: „Als Herr von Bethmann mit demselben plumpen (clumsy) Un- 
geschick, mit dem er in den Krieg hineingestolpert war, aus dem Reichs- 
kanzleramt herausstolperte, ließ Wilhelm einen im In- und Ausland völlig 
unbekannten, mittelmäßigen Beamten kommen, der weder im Parlament 
noch im Lande irgendwelche Stellung hatte, und sagte zu ihm: Ich ernenne 
Sie zum Major, mehr bedarf es nicht, damit Sie mit Gottes Hilfe ein aus- 
gezeichneter Reichskanzler werden.“ Leider hatte die nach seiner Er- 
hebung zum Kanzler in der Tat erfolgte Ernennung zum Major der Land- 
wehr nicht genügt, um Michaelis vor einem frühen politischen Tod zu be- 
wahren. 
Wieder sollte Wilhelm II. einen neuen Steuerinann für das in schwerem 
Kriegssturm von den Wellen hin und her geworfene Reichsschiff finden. 
Wiederum von dem eigensinnigen Wunsch geleitet, um mich herumzu- 
kommen, verfiel der Kaiser auf den bayrischen Ministerpräsidenten Hert- 
ling, an den bereits im Juli 1917 herangetreten worden war, der aber da- 
mals mit Rücksicht auf seinen schlechten Gesundbheitszustand gebeten 
hatte, von ilım abzusehen. Es war das derselbe Hertling, den der Kaiser 
zwei Jahrzehnte früher nur mit Widerstreben auf einem Hofball einer 
kurzen Ansprache gewürdigt hatte, leider auch derselbe Hertling, von dem 
am Schauplatz seiner bisherigen Tätigkeit in München seine Kollegen, seine 
Untergebenen und alle, die mit ihm in Berührung kamen, überzeugt waren, 
er würde seinem dortigen, nicht allzu aufreibenden Amt, das jedenfalls viel, 
sehr viel bequemer war als das des Reichskanzlers, nicht mehr lange ge- 
wachsen sein. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Hertling war 
nicht nur bis zum letzten Atemzug ein gewissenhafter, ernster und vornelm 
gesinnter, sondern auch ein kluger und erfahrener Staatsmann. Aber er war 
über seine Jahre hinaus gealtert. Er war infolge einer rasch fortschreitenden 
Arteriosklerose körperlich verfallen. Schon in München war er nicht mehr 
imstande gewesen, länger als eine Stunde Vorträge entgegenzunehmen. Die 
Ernennung Hertlings erregte daher dort, wo man seinen körperlichen Zu- 
stand kannte, großes Erstaunen. 
Ich stattete ihm bald nach seiner Amtsübernahme einen längeren Be- 
such ab, schon weil er der einzige Zentrumsabgeordnete gewesen war, der 
mir gegenüber, auch nachdem ich politisch mit dem Zentrum zusammen- 
gestoßen war, die gesellschaftlichen Formen wahrte. Ich fand ihn geistig 
klar, physisch völlig verbraucht. Als ich ihm riet, seine schöne Münchener 
18 Bülow DI 
Reichskanzler 
Freiherr 
v. Hertling
	        
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