DER WILLE ZUR MACIIT 277
cinverstanden. Da gelangt durch einen tückischen Zufall ein Brief in die
Öffentlichkeit, den Harnack an eine in München lebende, hübsche, aber,
wie es scheint, indiskrete Nichte gerichtet hatte. Es hieß in diesem Brief,
der Kanzler Bethmann habe ihm, Harnack, anvertraut, daß er gern noch
weiter nach links gehen möchte, er fürchte aber, dadurch nicht nur die
Konservativen, sondern vor allem den Kaiser zu beunruhigen. Schlimmer
war in diesem Brief die Wendung: ‚Ich, Adolf Harnack, halte den Willen
zur Macht für Sünde.‘ Dabei hat gerade Harnack alle anderen deutschen
Gelehrten während des Krieges an allzu lautem, gar zu übertriebenem
Chauvinismus übertroffen.“
Gewiß, auch andere deutsche Gelehrte haben gesündigt. Ich nenne nur
den Professor Lasson, den letzten Vertreter der Hegelschen Philosophie
an der Berliner Hochschule. Hegel soll gesagt haben, er habe nur einen
einzigen Schüler gehabt, der ihn verstanden habe, und dieser hätte ihn miß-
verstanden. Ich weiß nicht, ob dieser den Meister mißverstehende Jünger
der Professor Lasson war. Des tiefen und umfassenden Hegelschen Geistes
hat Lasson jedenfalls keinen Hauch verspürt. Er schrieb bald nach Beginn
des Krieges an einen holländischen Gelehrten, der ihm wohlgemeinte Ge-
danken für eine allmählich anzubahnende Versöhnung der sich bekämpfen-
den Völker durch einen Verständigungsfrieden unterbreitet hatte, ungefähr
so: Wenn er, Lasson, Holländer wäre, würde er sich schämen, einem
neutralen, im Wohlstand erstickenden Lande anzugehören. Wegen Deutsch-
lands brauche der Holländer sich nicht zu beunruhigen. Von Kaiser Wil-
helm II. gelte, was einst von Kaiser Titus gesagt wurde: Deliciae generis
humani. Betlımann sei ein Staatsmann, um den uns künftige Jahrhunderte
beneiden würden.
Auch der Nationalökonom Werner Sombart hätte meo voto besser
getan, seinem Kriegsbuche nicht den Titel zu geben: ‚Helden und Händler‘.
Mit den Helden sind natürlich wir Deutsche gemeint, mit den Händlern die
Engländer. Nun haben zweifellos auch die Engländer in ihrer Geschichte,
und noch im Weltkrieg, Heldenmut an den Tag gelegt. Andererseits hat
unser Volk Handelsgeist im besten Sinne in den Tagen der Hansa und von
neuem seit der Wiedererrichtung des Reiches glänzend betätigt. Die
Warnung des weisen Dulders Boethius in seinen ‚Consolationes‘ gilt auch
für Sombart: „O si tacuisses, philosophus mansisses.“*
Aber allen seinen Kollegen tut es Adolf Harnack an Großspurigkeit
zuvor. Im Höhepunkt des Krieges hielt er in München eine Rede, in der er
erklärte, daß nur der Deutsche bereit sei, für den Staat zu sterben, wofür
sich die uns feindlichen Völker bedankten. Im Anschluß hieran führte er
aus, daß allein der Deutsche eine wirkliche Kultur besitze. Es entbehrt
nicht eines gewissen pikanten Reizes, daß ein Mann, der in dieser Weise