lat Ballin
Selbstmord
begangen?
284 BALLINS TOD
wenige habe ich eine so aufrichtige Achtung gefühlt. Ballin war schr klug,
er hatte aber nicht nur einen scharfen Verstand, sondern auch, was in
Deutschland seltener ist als in Italien, einen Verstand voll Ressourcen. Er
suchte und fand meist einen Ausweg. Il etait plein d’exp£dients, wie der
Franzose sagt. Er war durch und durch praktisch, was der Deutsche
seltener ist als der Engländer, als der Amerikaner und selbst als der
Franzose, und dabei hatte er, ganz Autodidakt, tiefes Verständnis für
geistige Kultur. Er hatte vor allem ein goldenes Herz, und groß ist die Zahl
derjenigen, denen er mit Rat und Tat geholfen hat, ohne jemals eine Gegen-
leistung zu verlangen oder auch nur Aufhebens davon zu machen.
Ballin ist, wie ich vorgreifend hinzufüge, beim Ausbruch der Revolution
plötzlich gestorben. Man sagt, er wollte sterben. Und doch war nach meiner
Überzeugung von einem eigentlichen Selbstmord nicht die Rede. Der Zu-
sammenbruch des Vaterlandes erschütterte ihn bis ins Innerste. Er glaubte,
wie mir seine liebe und gute F'rau nach seinem Tode sagte, sein Lebenswerk
sei zerstört, Auch das Schicksal des Kaisers ging ihm nahe, mit dem er
nicht immer einverstanden war, dem er aber trotz allem treu ergeben blieb,
für den er, ich möchte sagen, väterliche Gefühle empfand. Daß aber Albert
Ballin seinem Leben nicht mit Bewußtsein selbst ein Ende setzen wollte,
dürfte schon daraus hervorgehen, daß er mir vierundzwanzig Stunden vor
seinem Tod einen längeren Brief schrieb, in dem er die Grundlinien für den
wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands, auch auf dem Gebiete der
Schiffahrt, in großen Zügen skizziert hatte. Am Vormittag seines Todes-
tages saß Ballin allein in seinem Arbeitszimmer in dem stattlichen, an der
Binnenalster gelegenen Hapag-Gebäude, das die stolze Inschrift trug: „„Mein
Feld ist die Welt.“ Rohe Matrosen mit roten Schleifen und Kokarden
drangen in sein Zimmer und bedrohten den feinfühligen, kränklichen Mann
mit körperlicher Mißhandlung. Sie schrien ihm zu, die Republik sei pro-
klamiert, jetzt breche eine neue Zeit an, eine herrliche Zeit, mit ihm, mit
dem Kapitalismus und der Hapag sei es vorbei. Ballin, der an intensiver
Schlaflosigkeit litt, hatte ein starkes Schlafmittel auf seinem Tisch
stehen. Als die rohen Einbrecher sich entfernt hatten, leerte er in der
furchtbaren Erregung des Augenblicks den ganzen Inhalt des Fläschchens.
Unmittelbar nachher von Reue ergriffen, telephonierte er selbst an seinen
Arzt. Dieser erschien, fand den Fall nicht hoffnungslos, erklärte aber, der
Magen müsse ausgepumpt werden. Es empfehle sich, daß Ballin selbst mit
ihm zu Fuß in seine Klinik ginge, die kurze Bewegung würde ihm guttun.
In dem Augenblick, wo Ballin in dem Krankenhaus anlangte, sank er, von
einem Herzschlag getroffen, leblos zu Boden.
Albert Ballin war am Hamburger Hafen geboren, am Steinhöft. Schon
der Blick des Knaben fiel auf „der Schiffe Mastenwald‘“‘, wie es in dem