Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Nochmals 
die Kanzler- 
frage 
294 WIEDER EIN „VERRÄTER“ 
Baden werden und ein Urenkel von ihr der letzte Reichskanzler des kaiser- 
lichen, des großen Deutschlands.“ George Sand sagt mit Recht, que la vie 
ressemble plus au roman que le roman a la vie. 
Ich wiederhole noch einmal, die mancherlei Beziehungen des „Bademax“, 
wie er bei den Gardekürassieren genannt wurde, sein Wesen und seine 
Persönlichkeit eigneten ihn vortrefflich zum diplomatischen Vertreter und 
Unterhändler auch im großen Stil. Nichts qualifizierte ihn zum Reichs- 
kanzler, und noch dazu in der denkbar schwierigsten Situation. Gegenüber 
Wilson versagte er vollständig, fiel im Bunde mit den ihn beratenden 
Demokraten auf alles und jedes herein, was aus Washington an Phrasen 
kam. Als, dem Usus entsprechend, bei dem Großherzog Friedrich II. von 
Baden, einem sehr verständigen Herrn, von seiten des Kaisers angefragt 
wurde, ob er seine Ermächtigung dazu gebe, daß sein Vetter, Prinz Max, 
das Reichskanzleramt übernehme, erfolgte die Rückfrage, ob es sich um 
ein Chiffre-Versehen handle oder um einen nicht ernst zu nehmenden Einfall 
Seiner Majestät. Die Antwort lautete, daß ein wohlerwogener Entschluß 
vorliege. Schon deshalb hatte Wilhelm II. unrecht, wenige Wochen später 
den von ihm ausgesuchten und ernannten Kanzler mit allen der Zoologie 
entnommenen Schmeichelnamen zu belegen, die dem Kaiser, wenn er 
erzürnt war, zur Verfügung standen. 
Ein langjähriger Freund von mir, der beim Kaiser wohlgelitten war, 
besuchte kaum zwei Monate nach des Kaisers Flucht die Majestäten im 
Bentinckschen Schlosse Amerongen. Er erzählte mir, bei einem Abendessen 
wäre die Stimmung des Kaisers besonders trübe gewesen. Er habe kein 
Wort gesprochen. Sorgenvoll habe die arme Kaiserin auf ihren hohen 
Gemall geblickt. Plötzlich habe Wilhelm II. mit der Faust auf den Tisch 
geschlagen und laut gerufen: „Der Bademax ist ein Verräter! Ein 
Schurke!“ Da habe die Kaiserin mit einem Seufzer der Erleichterung 
geflüstert: „Gottlob! Jetzt redet er wieder.‘ Der Vorwurf Seiner Majestät 
war übertrieben. Der Bademax hätte Seiner Majestät mit Moliere erwidern 
können: „Tu l’as voulu, George Dandin, tu l’as voulu!“* 
Bei den Besprechungen, die Herr von Berg im Auftrage des Kaisers mit 
den Parteiführern über die Nachfolge des Grafen Hertling abgehalten hatte 
— von der Taktik der Überrumpelung des Parlaments war man unter dem 
Druck der Verhältnisse abgekommen —, war, wie ich von verschiedenen 
Beteiligten, darunter auch vom Abgeordneten Erzberger hörte, auch mein 
Name genannt worden, da man im Reichstage anzunehmen schien, daß die 
Erfahrungen, die ich auf dem Gebiete der auswärtigen Politik besaß, beim 
Friedensschluß nutzbar gemacht werden könnten. Herr von Berg wurde 
durch diese Erörterung in eine peinliche Lage versetzt. Er entgegnete mit 
sichtlicher Nervosität, er empfände für den Fürsten Bülow aufrichtige
	        
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