Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

EIN DEUTSCHER GAMBETTA? 295 
Verehrung, stünde auch persönlich zu ihm in guten Beziehungen. Er halte 
sogar dessen Ernennung zum Reichskanzler für die richtige Lösung. „Aber“, 
sagte er, „den Fürsten Bülow bringe ich beim Kaiser nicht durch. Das 
ist völlig ausgeschlossen.“ Dieser Standpunkt des Kabincttsrats Seiner 
Majestät war an und für sich begreiflich. Ein gedeihliches Zusammen- 
arbeiten mit Wilhelm II. war in dieser gefahrbeschwerten Lage nur möglich 
bei vollem und rückhaltlosem gegenseitigen Vertrauen. Der Kaiser war von 
Leuten, die glaubten, ihm damit einen Gefallen zu erweisen und sich seine 
Gunst zu sichern, in Abneigung und Mißtrauen gegen mich erhalten worden. 
Die Selbstbeherrschung und das Pflichtgefühl, deren er bedurft hätte, um 
die fast ein Jahrzehnt lang bei ihm mit allen Mitteln genährte und lebendig- 
erhaltene Ranküne zu überwinden, besaß er nicht. 
Ich weiß nicht, ob es mir gelungen wäre, Wilhelm II. oder wenigstens 
die Dynastie zu retten. Daß ich auf Wilsons Propositionen ohne weiteres 
hereingefallen wäre, wie Prinz Max und Neulinge vom Typ Haußmann und 
Erzberger, glaube ich nicht. Ich möchte mich gegen den Vorwurf billiger 
Kombinationspolitik verwahren. Aber für mich wie für jeden anderen 
braven Preußen und politisch klarblickenden Deutschen war in den 
Oktobertagen des Jahres 1918 nur noch ein Ausweg möglich. Wir mußten 
fechten, weiterfechten. Es blieb uns keine andere Wahl. Die Zügel im 
Innern mußten schärfer angezogen, die Etappe gründlich gesäubert, jeder 
verfügbare Mann an die Westfront gebracht werden. Es war, wie mir von 
einsichtsvollen Militärs versichert worden ist, ein Ausharren noch an ver- 
schiedenen Stellen möglich, jedenfalls am Rhein. Das habe sich mit voller 
Klarheit aus den Äußerungen der Regimentsführer ergeben, die in größerer 
Anzahl aus allen Abschnitten der Front in das Hauptquartier befohlen 
worden waren, um der Heeresleitung über die Stimmung in der vordersten 
Kampflinie Meldung zu erstatten. Im Gegensatz zu ihren Oberkommandos 
hätten sich die Regiments- und Brigadeführer für die Fortsetzung des 
Kampfes ausgesprochen und sich für den ungeschwächten Kampfgeist 
ihrer Truppen verbürgt. Daß wir, als unsere Regierung kapitulierte, sehr 
wohl in der Lage waren, weiterzufechten, und sogar unter militärisch nicht 
allzu ungünstigen Verhältnissen, hat nach dem Ende des Weltkriegs 
Marechal Foch wiederholt geäußert. In einem Interview, das er im Juli1928 
einem Mitarbeiter der „Wiener Neuen Freien Presse‘ gewährte, erklärte 
unser bedeutendster Gegner seinem Besucher, daß Deutschland im 
September 1918 hinter dem Rhein hätte standhalten können. „Wenn das 
deutsche Volk einen Gambetta besessen hätte, wäre der Krieg verlängert 
worden, und wer weiß...“ Auf den Einwurf, das Beispiel Gambettas hätte 
bewiesen, daß ein heldenhafter Widerstand eines militärisch besiegten Volks 
nur dazu diene, den Krieg nutzlos zu verlängern, erwiderte Marschall Foch:
	        
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