Wilhelms II.
Verzicht
unvermeidlich
296 DIE ABDANKUNG
„Dennoch glaube ich, daß ein Volk, das nicht besiegt werden will, nicht
besiegt werden muß. Im November 1918 hatte Deutschland selbst-
verständlich keinerlei Siegesaussichten mehr. Hätten jedoch seine Armeen
binter dem Rhein standgehalten, hätten viele Dinge eine andere Wendung
genommen.“ Wenn mir General Ludendorff gesagt hätte, er hielte einen
weiteren militärischen Widerstand für ausgeschlossen, so würde ich ihm
erwidert haben: „Ich begreife, daß nach so großartigen Leistungen,
unerhörten Anstrengungen Ihre Nerven einen A blicl hl Selbst
Napoleon, selbst unser großer König haben solche Augenblicke gekannt.
Schlafen Sie sich vierundzwanzig Stunden aus, dann wollen wir weiter-
reden.“ Ich bin überzeugt, daß der General nach vierundzwanzig Stunden
wieder der alte gewesen wäre, und wir hätten weitergefochten, weiter-
gekämpft, wie Ludendorff und Hindenburg die ganze Zeit, wo die Oberste
Heeresleitung in ihren Händen lag, bis dahin gekämpft hatten. Jedenfalls
hätte ich den Kaiser gezwungen, nach Berlin zurückzukehren. Ich hätte
ihn nicht über die Grenze fliehen lassen. Und ich würde in Berlin für
die Aufrechterhaltung der Ordnung gesorgt haben. Wir konnten besiegt
werden, aber wir durften nicht zusammenbrechen.
Prinz Max war gewiß nicht der Verräter, als der er nicht nur Kaiser
Wilhelm, sondern vielen Gutgesinnten gilt. Aber auch er war, wie vor ihm
Bethmann Flollweg, zu schwach, um wirklich aufrichtig zu sein. Er hat
zweifellos die Geschäfte mit der Absicht übernommen, den Kaiser über
Bord zu werfen, um das Schicksal der preußischen und damit auch der
anderen deutschen Dynastien zu retten. Er hatte schon einige Monate vor
seinem Amtsantritt dem Kronprinzen Ruprecht von Bayern, mit dem er
in dauernder Korrespondenz stand, geschrieben, die Abdankung des Kaisers
sei unvermeidlich. König Ludwig von Bayern, der wohl dachte, daß, was
mit dem Kaiser angefangen, bei ihm fortgesetzt werden könnte, hatte
daraufhin seinem Herrn Sohn einen scharfen Verweis erteilt, daß er eine
solche Eventualität überhaupt erörtert habe. Unter dem Druck der immer
deutlicher werdenden Anspielungen Wilsons hatte Prinz Max als Kanzler
gegenüber dem bayrischen Ministerpräsidenten von Dandl mit eindeutiger
Bestimmtheit ausgesprochen, daß er es als den dringlichsten Teil seiner
Aufgabe betrachte, den Kaiser von der Notwendigkeit seiner Abdankung
zu überzeugen. Herr von Dandl erstattete über diesen ihn entrüstenden
Standpunkt des Prinzen seinem Allerhöchsten Herrn pflichtschuldigst
Bericht, was die Stimmung für den Prinzen Max in München nicht ver-
besserte. Später versuchte Prinz Max, den Großherzog Ernst von Hessen
zu veranlassen, den Kaiser zur Abdankung zu bewegen. Der Großherzog
lehnte ab unter dem Hinweis darauf, daß er der leibliche Vetter des Kaisers
sei, der einen Teil seiner Jugend von Kassel und Bonn aus während seiner