Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER 9. NOVEMBER 297 
Ferien in Darmstadt verlebt habe. Er, der Großherzog, könne sich unmöglich 
dazu hergeben, Kaiser Wilhelm II. die seidene Schnur zu überbringen. 
Endlich gelang es dem Prinzen Max, den damaligen preußischen Minister 
des Innern, Herrn Drews, zu überreden, seinerseits den Versuch zu unter- 
nehmen, dem Kaiser klarzumachen, daß er nicht länger bleiben könne. Der 
Minister hatte kaum seinen hierfür sorgsam vorbereiteten Vortragbegonnen, 
als ihm der Kaiser, bei dem sich gegenüber diesem ziemlich subalternen 
Bürokraten endlich der fürstliche Stolz aufbäumte, die Tür wies. Daß im 
Parlament, ja selbst im Schoße seiner eigenen Regierung, auf seine Ab- 
dankung hingearbeitet, daß sie als Erleichterung des Friedensschlusses 
betrachtet wurde, war dem Kaiser auch ohne den letzten Vortrag, den er 
von seinem Minister des Innern entgegennahın, nicht verborgen geblieben. 
Als er Berlin verließ, um sich in das Hauptquartier nach Spa zu begeben, 
wußte er, daß sein persönliches Schicksal ungewiß, das der Dynastie 
gefährdet war. Er tat aber nach außen, als ob er nicht weichen werde. Noch 
am 6. oder 7. November erzählte mir der Generaladjutant Löwenfeld, der 
Kaiser habe ihm aus Spa telegraphiert, er möge „allen Treuen im Lande“ 
sagen, daß der König von Preußen und Deutsche Kaiser „bis zum letzten 
Blutstropfen‘“ standhalten würde. Als die Meldung von der Revolte in Kicl, 
von der Revolution in München und in Berlin eintraf und gleichzeitig 
Gerüchte die Stadt durchschwirrten, daß die Feldarmce im Westen den 
Gehorsam versage, besuchte mich Graf August Eulenburg und sagte mir: 
„Nun müssen wir Gott bitten, daß unser Herr den Mut findet, an der Front 
zu fallen.“ Das war in der Tat die letzte Möglichkeit, die Lage zu Gunsten 
der Dynastie zu wenden. 
Prinz Max, dessen Leistungsfähigkeit von Brom und Chloral abhing, 
hatte den Rest seiner Nervenkraft eingebüßt und den Kopf völlig verloren. 
Er hatte unter dem Hinweis auf die Möglichkeit blutiger Zusammenstöße 
in Berlin telegraphisch und zum Schluß sogar telephonisch in Spa in- 
sistiert, daß der Kaiser so rasch als möglich abdanken müsse. Wilhelm II. 
war nicht mehr in der Lage gewesen, die Angaben seines letzten Kanzlers 
auf ihre Richtigkeit nachprüfen und feststellen zu lassen, wie weit sie der 
Wirklichkeit entsprächen und wie weit sie durch Neurasthenie diktiert 
waren. Die überstürzt vollzogene Abdankung war in Berlin auf Anordnung 
des Prinzen Max schleunigst bekanntgegeben worden. Die Nachricht von 
der Abdankung, welche die noch treugesinnten Heeresteile des obersten 
Kriegsherrn beraubte, hatte auf den Geist der Front katastrophal gewirkt. 
Nicht lange nachher traf in Berlin die Meldung ein, daß Wilhelm Il. über 
die holländische Grenze geflohen sei und bei dem Grafen 'Godard Bentinck 
in Schloß Amerongen Aufnahme gefunden habe. Von allen Berichten über 
die Ankunft des Kaisers in Holland scheint mir der wahrheitsgetreuste die 
Der Kaiser 
in Spa
	        
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