KEINE SICHERHEIT MEHR 299
Da der F.M. Mir Meine Sicherheit hier nicht mehr gewährleisten
kann und auch für die Zuverlässigkeit der Truppen keine Bürgschaft über-
nehmen will, so habe Ich Mich entschlossen, nach schwerem innerem
Kampfe, das zusammengebrochene Heer zu verlassen. Berlin ist total ver-
loren, in der Hand der Sozialisten, und sind dort schon zwei Regierungen
gebildet, eine von Ebert als Reichskanzler, eine daneben von den Un-
abhängigen. Bis zum Abmarsch der Truppen in die Heimat empfehle Ich,
auf Deinem Posten auszuharren und die Truppen zusammenzuhalten! So
Gott will, auf Wiedersehen. Gen. von Marschall wird Dir Weiteres mitteilen.
Dein tiefgebeugter Vater (gez.) Wilhelm.“ Nur Wilhelm II. war imstande,
mit soviel Natürlichkeit, mit solcher Naivität den eigentlichen Grund seines
Übertritts über die holländische Grenze zum Ausdruck zu bringen, nämlich
die Furcht des Neurasthenikers vor den Gefahren, die seine Phantasie ihm
vorspiegelt. Diese Furcht war stärker als der Gedanke an das künftige
Verdikt der Geschichte, an die glorreichen Traditionen seines Hauses, als
die Erinnerung an Vater und Großvater, an den großen König und den
großen Kurfürsten.
Als Wilhelm II. den Kanzler Bismarck fortschickte, hatte mein Bruder
Adolf, damals diensttuender Flügeladjutant Seiner Majestät, geäußert:
„Dieser fürchterliche Entschluß läßt sich moralisch überhaupt nicht recht-
fertigen. Möge er wenigstens politisch dadurch repariert werden, daß die
Regierung Wilhelms II. gut verläuft und vor allem gut abschließt.“ Die
Verabschiedung des Fürsten Bismarck am Anfang seiner Regierung, die
Flucht ins Ausland an deren Ausgang ist mehr, als die Schultern Wilhelms II.
tragen konnten und als die Geschichte verzeihen kann. Keiner der auch von
wohlmeinender Seite unternommenen Versuche, die Schuld an der Flucht
ins Ausland vom Kaiser ab- und anderen zuzuwälzen, kann ernsthafter
Prüfung standhalten. Es gibt im Leben jedes Menschen Situationen, wo er
einzig und allein auf sich selbst gestellt ist. Mehr als für jeden Menschen gilt
diese Wahrheit für den Fürsten. In einem solchen Augenblick konnte dem
Kaiser und König niemand die Verantwortung abnehmen, mußte er die
Entscheidung selbst treffen. Der Nachfolger des Großen Kurfürsten, des
Großen Königs und des Großen Kaisers mußte selbst seinen Weg finden.
Die Kraft und den Willen, den rechten Weg zu finden, mußte gerade.
Wilhelm II. aufbringen, der hundertmal laut und öffentlich verkündet hatte,
er fühle sich als Monarch Gott allein verantwortlich, diese Verantwortung
könne ihm kein anderer, kein Ratgeber, kein Minister, kein Parlament
abnehmen. Wer dreißig Jahre lang so gesprochen und das mit solcher
Feierlichkeit und anscheinend mit voller Überzeugung verkündet hat, darf
sich nicht, sobald er auf die Probe gestellt wird, auf andere herausreden,
darf nicht sagen, der Admiral Hintze habe ihm dies geraten, der General
Die Ver-
antıvorlung
für die Flucht