Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Clemenceau 
nach der 
Kapitulation 
Die Matrosen- 
meuterei in 
Kiel 
302 CLEMENCEAUS TAG 
heimgebracht zu haben.‘ Ich muß mit Bedauern feststellen, daß bei keinem 
anderen Volke eine große Partei so tief sank, daß in keinem anderen Lande 
eine derartige Gemeinheit denkbar war. Ich sollte vielleicht besser sagen: 
Dummheit. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß viele deutsche Sozial- 
demekraten und manche Zentrumsleute und Demokraten es für möglich 
hielten, durch eine solche Mischung von Feigheit und Würdelosigkeit unsere 
Feinde zu versöhnen, sie zu gewinnen und auf diese Weise einerseits noch 
Schwereres abzuwenden, andererseits eine allgemeine Völkerverbrüderung 
einzuleiten. Die Unwissenheit nicht nur der drei leitenden Parteien und 
ihrer Führer, sondern in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes über 
die Mentalität der uns feindlichen Völker, über die Absichten ihrer maß- 
gebenden Staatsmänner überstieg jeden Begriff. Um dieselbe Zeit, wo in 
Deutschland sich solche Einfältigkeit und solche Niederträchtigkeit breit- 
machten, verspottete in der Pariser Kammer Georges Clemenceau die 
blökenden Schafe des Pazifismus, „les moutons b£lants du pacifisme“, und 
donnerte: „Ich trete vor Sie in dem alleinigen Gedanken an einen unein- 
geschränkten Krieg. Alle Defaitisten vor das Kriegsgericht! Keinen Pazi- 
fistenfeldzug mehr! Weder Verrat noch Halbverrat! Mein Wahlspruch ist: 
Überall führe ich Krieg, in der inneren Politik führe ich Krieg, in der 
äußeren Politik führe ich Krieg. Ich fahre fort, Krieg zu führen, und werde 
fortfahren bis zur letzten Viertelstunde, die uns gehören soll.“ 
Als diese letzte Viertelstunde kam, als Deutschland kapitulierte, stieß 
Georges Clemenceau, das entscheidende Telegramm in der Hand, einen 
Freudenschrei aus: „Enfin! Il est arriv& ce jour que j’attends depuis un 
demi-siecle! Il est arriv& le jour de la revanche! Nous leur reprendrons 
Y’Alsace et la Lorraine, nous retablirons la Pologne, nous forcerons les 
Boches a nous payer dix, vingt, cinquante milliards. Est-ce assez? Non! 
Nous leur fouterons la republique.‘“ So erzählte mir ein langjähriger fran- 
zösischer Freund, der zu den Intimen von Clemenceau gehörte. Auch das ist 
Clemenceau gelungen. Unser Zusammenbruch brachte uns die republi- 
kanische Staatsform, die für uns nicht paßt. Und es war eine stolze, eine 
verdiente Ehrung für Clemenceau, den Vorkämpfer und Hauptvertreter der 
Guerre & outrance, des Krieges bis aufs Messer, als in allen französischen 
Schulen nach der Unterzeichnung des Diktat- und Schandfriedens von 
Versailles ein Täfelchen aufgehängt wurde mit den Worten: „Georges 
Clemenceau a bien merit€ de la France.“ 
Die hilflose Schwäche der Regierung steigerte natürlich die Dreistigkeit 
der Spartakusleute. In den letzten Tagen des Oktober hatte die Meuterei 
auf der Flottein Kiel begonnen, hervorgerufen, mit russischem Geld, durch 
den linken Flügel der Sozialdemokratie. Am 4. November siegte die Revo- 
lution in Kiel. Auf allen Schiffen wurde die rote Flagge gehißt. Die Garnison
	        
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